: Viele schlechte Erlebnisse
Musik nicht nur für Regierungsparteien: Die einstige Songwriter-Hoffnung David Gray holt sein Konzert in der Großen Freiheit nach ■ Von Thorsten Bathe
Heutzutage macht selbst die Politik mobil. Der Trendsetter dieser neuen Beweglichkeit heißt Gerhard Schröder. Und was Wunder: der Bundeskanzler höchstpersönlich ist längst angekommen an jenem Ort sagenumwobener Modernität und eigentlich auch nicht mehr wegzudenken von dort. Doch aufgepasst. Dort meint keineswegs den viel gerühmten Platz an der Sonne, sondern schlicht und ergreifend die Mitte. Genauer: die Neue Mitte. Davon reden seit des Kanzlers Geistesblitz alle. Und die meis-ten wollen auch dahin.
Die Mitte ist der Ort der Angepassten. Verstöße werden streng geahndet. Wer sich zu laut, zu schnell oder einfach zu individuell bewegt, kann besser gleich zu Hause bleiben. Für das bisschen Geborgenheit müssen allerdings ein paar Kleinigkeiten in Kauf genommen werden. Kleinigkeiten wie verschwundene Millionen, Treueschwüre und Untersuchungsausschüsse. Von der Musik ganz zu schweigen. Dort gibt's Bon Jovi zum Andenken an ehrliches Rock-Handwerk, No Angels für den kleinen Fun zwischendurch und Marius Müller Westernhagen, weil er über 30 Jahre lang der Marius geblieben ist. Fehlt doch eigentlich nur noch jemand fürs Gefühl.
Gerade noch gesucht und schon gefunden. David Gray heißt der Emotions-Spezialist für das aufstrebende Reich der Mitte. Er sieht smart aus und singt mit einer Reibeisenstimme gehaltvolle Lieder. Da passt die Bezeichnung Liedermacher aber hundertpro. Wohlgemerkt im Biermannschen Sinne. Dieses Idol aller politisch korrekten Klampfenmänner erfand den Begriff in Anlehnung an Bertold Brechts Wort „Stückeschreiber“. Er sollte der künstlerischen Produktion die Weihe des Außergewöhnlichen nehmen, das Komponieren von Liedern als eine Arbeit wie jede andere ausweisen. Damit spricht Biermann so einem wie David Gray aus der Seele. Das Besondere an ihm ist das Unspektakuläre. Devise: einfach weiterarbeiten. Mit oder ohne Erfolg.
Das berherrscht der britische Barde bestens. Schon 1993 veröffentlichte er das Debüt A Century Ends und galt fortan als hoffnungsvoller Songwriter, der keinen Hehl aus der Begeisterung für Van Morrison und Nick Drake machte. Pekuniäre Auswirkungen hatte das jedoch keine und ließ ihn jahrelang vor sich hindümpeln. „Ich habe so viele schlechte Erlebnisse gehabt, dass ich darüber nur noch lachen kann“, resümiert David Gray heute. „Nenn mir ein mieses Hotel, einen Scheiß-Club und ein desinteressiertes Publikum – ich kenne sie alle.“ Aber es sollte noch schlimmer kommen. Er komponierte weiterhin Musik, die sich auch weiterhin schlecht verkaufte, bis die damalige Plattenfirma Einhalt gebot. Gestärkt durch seine Erfahrungen, setzte David Gray nun alles auf neun neue Kompositionen, die er im heimischen Appartement produzierte und unter dem Albumtitel White Ladder auf dem eigens dafür gegründeten Label IHT-Records veröffentlichte.
Seine Entschlossenheit hat sich ausgezahlt. Plötzlich finden alle die Symbiose aus intensivem Gesang und zurückhaltender Instrumentierung eindringlich, aber nicht aufdringlich. Und lassen sich nur zu gerne in die poetischen und ausdrucksstarken Songs locken. David Grays Talent besteht darin, über persönliche Befindlichkeiten zu sprechen, ohne sich in Wehleidigkeit zu verlieren und gleichzeitig, dank seiner lyrischen Fähigkeiten, eine größere, gesellschaftsbezogenere Dimension zu erreichen. Der klassische Weltschmerz wird von ihm als ein generelles Lebensgefühl wiederentdeckt, was die Identifikationsmöglichkeiten für die Mitglieder der neuen Mitte erheblich steigert. Endlich mal wieder einer, der lebt, was er sagt. Und dem man das glauben darf. Für weit voneinander entfernte Pole des Denkens und Fühlens haben die Mitte-Menschen kein Interesse mehr. Wo gegenläufige Tendenzen nicht zu beobachten sind, müssen keine Konflikte ausgetragen werden. Konsens ist Dauerzustand. Für David Grays Musik gilt das gleiche wie für die Worte des Bundeskanzlers: warmer Klang, kühl kalkuliert. Melodien für Millionen. Die Politik macht wieder mobil. Mitmachen oder nicht ist hier die Frage.
Dienstag, 20 Uhr, Große Freiheit 36 – Die Karten für das urstrünglich am 3.3. vorgesehene Konzert sind gültig!
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