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Viel zu tun für Lafontaine

Der SPD-Parteichef will zu seiner vor der Bundestagswahl erfolgreichen Methode zurückkehren, interne Querschießer mit deutlichen Worten zur Räson zu bringen  ■ Aus Bonn Markus Franz

Ausgepowert sehe er aus, Mensch, diese schwarzen Augenringe, dazu der Blick häufig ins Leere gerichtet und die Körperhaltung so gedrückt. Andererseits sei er äußerst reizbar und erregt, fahre leicht aus der Haut, mit hochrotem Kopf. Mitgefühl macht sich breit. Häufig heißt es zusammenfassend: „So fertig habe ich den noch nie gesehen.“ In den letzten Wochen sprachen Abgeordnete und Journalisten über die Befindlichkeit von SPD-Parteichef und Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine, als läge er im Sterben begriffen auf dem Krankenbett.

Der Bemitleidete selbst spürt dagegen Aufwind. 14 Tage ist es her, daß Lafontaine mit Bundeskanzler Schröder vereinbart hat, sich wieder stärker auf seine Rolle als Parteichef zu konzentrieren. Seither, sagt er, habe es keine unvertretbaren Ankündigungen mehr gegeben, insgesamt sehe er eine positive Entwicklung.

Lafontaine ist offenbar bescheiden geworden. Denn in den letzten zwei Wochen ist nicht weniger als folgendes passiert: Das Handelsblatt berichtete, daß Kanzler Schröder gedenke, die Körperschaftssteuer weit unter den vorgesehenen Höchstsatz von 35 Prozent zu senken. Lafontaine schäumte. Die Süddeutsche schrieb, die Regierung wolle die Mehrwertsteuer um drei Prozent anheben. Lafontaine, heißt es, mache das Kanzleramt für diese gezielte Indiskretion verantwortlich.

Juso-Chefin Andrea Nahles hat zusammen mit der Grünen-Abgeordneten Annelie Buntenbach eine Unterschriftenliste initiiert, in der es um Kritik an der „vorschnellen Defensivhaltung“ der Regierung beim Thema Staatsbürgerschaft geht. 69 SPD-Abgeordnete haben bereits unterschrieben. Fünf SPD-Youngster haben ein Strategiepapier in Umlauf gebracht, in dem sie ihrem Unmut über die Regierungsarbeit freien Lauf lassen.

Ottmar Schreiner hat eine neue Debatte über die Zusammenarbeit von SDP und PDS entfacht. Und dann meldeten sich noch die beiden Ministerpräsidenten Gerhard Glogowski und Kurt Beck kritisch zur PDS zu Wort, so daß der Eindruck entstand, sie kritisierten Lafontaine, der Schreiner beigesprungen war. In den Monaten vor der Bundestagswahl hat es dergleichen undiszipliniertes Verhalten nicht gegeben. „Darüber wird noch zu reden sein“, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Wilhelm Schmidt, drohend.

Lafontaine ist offenbar bescheiden geworden

Beck und Glogowski können sich auf deutliche Worte von Lafontaine gefaßt machen. Der Parteichef will zu seiner vor der Bundestagswahl erfolgreichen Methode zurückkehren, Querschießer mit deutlichen Worten zur Räson zu bringen. Nach der Regierungsbildung hatte er sich deutlich zurückgehalten. Ein Grund dafür war, wie er von der Öffentlichkeit als Nebenkanzler an den Pranger gestellt wurde. Das wollte er sich und Schröder nicht länger antun. Und so hielt er sich selbst bei dem peinlichen Gewürge um den Gesetzentwurf zu den 630-Mark-Jobs zurück und fand sich damit ab, daß Kanzler Schröder die Mineralölsteuererhöhung auf sechs Pfennig beschränken wollte.

Auch beim Thema Staatsbürgerschaft machte Lafontaine nicht seinen ganzen Einfluß geltend. Zweimal hatte er im SPD-Präsidium vor einer Pleite bei der Hessen-Wahl gewarnt und deshalb auf einen Kurswechsel bei der Reform gedrängt. Kampflos beugte er sich aber Bundeskanzler Schröder, der meinte, das könne man mit den Grünen nicht machen. In der Fraktion wird Lafontaine seine Zurückhaltung als Führungsschwäche angekreidet. Überrascht, daß er nicht wie gewohnt für Geschlossenheit in den eigenen Reihen sorgt, läßt sie ihren Frust an ihm aus. Er sei mit der Doppelbelastung überfordert, heißt es. Er schätze Stimmungen nicht mehr richtig ein, weil er zu gehetzt sei. Wilhelm Schmidt vermutet, die Kritik an Lafontaine wegen seiner Haltung zur PDS sei eine Retourkutsche. Schließlich habe Lafontaine zuvor durch abfällige Äußerungen gegen das Kanzleramt die Stimmung gegen die Regierung befördert.

Selbst der Rückhalt von den Parteilinken schwindet, vor allem seit dem Kurswechsel beim Staatsangehörigkeitsrecht nach der Hessen-Wahl. Andrea Nahles kritisiert, daß Lafontaine zu taktisch vorgegangen sei, und wirft ihm vor, die Fraktion übergangen zu haben. Gernot Erler sagt, er sei enttäuscht, daß Lafontaine sich gar nicht erst die Frage gestellt habe, ob es nicht besser sei, den Kampf für Mehrheiten in der Staatsbürgerschaftsfrage im Sinne der SPD zu führen, statt sich vermeintlichen Mehrheiten zu beugen.

Viel zu tun also für Lafontaine. Einige Abgeordnete hoffen darauf, daß er den Job als Finanzminister an den Nagel hängt, um sich auf den Parteivorsitz zu konzentrieren. Für Lafontaine kommt das nicht in Frage. Den Freiraum, den er bräuchte, um als Parteivorsitzender stärker Einfluß zu nehmen, bekäme er dadurch nicht zurück. Die Medien würden sich durch dieses Signal nur in ihrer Meinung von dem Konkurrenzverhältnis zwischen Lafontaine und Schröder bestärkt sehen. Ein Dauerkonflikt wäre programmiert.

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