■ Standbild: Viel Mensch im Affen
„Terra Magica“, Sonntag, 19.15 Uhr, Sat.1
Seine schwarzglänzenden, klugen Augen scheinen alles zu verstehen, was Betreuerin Sue ihm sagt, doch antworten kann der 16jährige aus den Regenwäldern Zentralafrikas nicht. Sein Kiefer läßt der Zunge zuwenig Bewegungsraum, sagen die Forscher in Georgia. Aufgeben wollen sie ihn deshalb noch lange nicht. Denn wenn Kanzi sich irgendwann doch einmal äußern sollte, hätte sich die Forschermühe allemal gelohnt: Kanzi ist ein Bonobo-Affe. Seine Gene stimmen zu „99 Prozent mit denen der Menschen überein“. Er küßt filmreif, schabt Sue mit einem Holzspan den Dreck unter den Fingernägeln weg und kann über 200 verschiedene Symbole auf seinem Sprachcomputer antippen.
Kanzis Schicksal – allein unter Sprachwissenschaftlern und Verhaltensforschern – bildet den Auftakt zu einer zehnteiligen BBC-Tierfilm-Reihe in Sat.1. Mit biologischen Differenzen zwischen Hauptdarstellern und Zuschauern halten sich die hinreißenden Tierparabeln erst gar nicht auf. Sie empfehlen sich als soziologische Schablone und allegorische Ratgeber.
Das vermeintliche Sprachstreben von Bruder Affe soll den Menschen tief an die eigenen geistigen Wurzeln führen. Bereits in den fünfziger Jahren mühten sich amerikanische Forscher um die Schimpansin Vicky. Ihren undeutlichen Laut, den sie nach sechs Jahren Sprachunterricht schließlich zustande brachte, übersetzte man hoffnungsvoll mit „Cup“. Dreißig Jahre später floppten Vickys Artgenossen bei Versuchen, weil sie den Unterschied zwischen Gebärdensprache und Nahkampftechniken nicht recht einsehen mochten.
„Doch dann kam Kanzi“, donnert der Erzähler aus dem Off, während die Kamera Kanzis Augen röntgt, als spiegele sich in ihnen bereits die Geburt eines Homo sapiens. Intime Portraits zeigen Kanzi beim Denken, Bilder vom letzten Camp-Wochenende mit Sue öffnen die Privatsphäre des Säugetiers. Jeder gelungene Test wird von den Forschern mit Freudentänzen und wilden Gebärden gefeiert und erlaubt die Frage, wer sich hier wem angepaßt hat. Und wenn am Ende das Lösungswort des Affentests eingeblendet wird („Schokoerdnüsse“), kollabiert die Wissenschaftsreportage zur Game-Show, in der sich der Zuschauer über die eigene Glanzleistung bereits entwickelter menschlicher Kognition freuen darf. Birgit Glombitza
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