■ Für alles die passende Pille – aber wer soll das bezahlen?: Viagra und andere Annehmlichkeiten
Die pharmazeutische Industrie wird es bald geschafft haben, für alle Befindlichkeiten, Sehnsüchte und Störungen die passende Pille parat zu haben. Sei es die Pille für die verlängerte Lust, die Pille fürs Abnehmen oder Medikamente, die die Leistungsfähigkeit erhöhen, wie gerade bei der Tour de France zu erleben. Die Industrie hilft überall nach, wo der natürliche Bauplan Mängel aufweist oder der Geist zu schwach ist. So ist der Mensch nun mal, faul, bequem und lustbetont bis in die Knochen. Die Nachfrage ist gegeben, wer aber soll das bezahlen?
Die Krankenkassen sind verpflichtet, Leistungen zu bezahlen, die der Behandlung von Krankheiten dienen. Impotenz ist eine Krankheit, Fettsucht ebenfalls. Und wer die Definition von Gesundheit durch die Weltgesundheitsorganisation zugrunde legt, als einen Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens, wird große Probleme bekommen, Gesunde zu entdecken. Es gilt, eine Grenze zu ziehen zwischen Krankheit und Befindlichkeitsstörung, zwischen notwendiger und angemessener Behandlung und der Versorgung mit Annehmlichkeiten. Der Diabetiker ist auf Insulin elementar angewiesen. Viagra wäre in der Lage, die von Diabetes gelegentlich mitverursachte Impotenz zu beseitigen. Wenn der Diabetiker kein Insulin mehr bekommt, stirbt er. Was passiert, wenn er kein Viagra bekommt? Die Definitionsmacht, was krank ist und was nicht, hat der Arzt. Je komplexer die Möglichkeiten der Medizin werden, um so schwieriger ist es, eine Grenze zu ziehen. Wir stehen zunehmend vor dem Dilemma, wofür wir Geld ausgeben sollen, für Insulin oder Viagra?
Es gibt mehrere Auswege. Die erste wäre, von der Gesellschaft selbst Prioritäten setzen zu lassen, was behandelt werden soll und was nicht. Der US-Bundesstaat Oregon hat einen solchen Gesundheitsplan, in dem bestimmte Leistungen im gesellschaftlichen Konsens gestrichen wurden. Wem diese Fremdbestimmung nicht schmeckt, könnte mehr Wettbewerb zwischen den Krankenkassen fordern. Warum sollte der Bürger sich nicht eine Krankenversicherung nach Maß kaufen? Der eine möchte eine Art Teilkasko mit Eigenbeteiligung, die auf Bachblütentherapie verzichtet, die andere möchte ein „Rundum-sorglos-Paket“ mit Chefarztbehandlung und Einbettzimmer.
Der klassische Weg ist der der Eigenvorsorge. Wir alle wissen, daß Rauchen der Gesundheit schadet, daß es sinnvoller ist, nach eigener Façon selig zu werden als ständig Trends nachzurennen. Mut zur Eigenständigkeit ist ein langfristig besserer ärztlicher Rat als ein Leben auf Kredit und auf Rezept. Günther Jonitz
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