Veterinäramt beendet Weideprojekt: Tote Kälber und offene Fragen

Ein Nabu-Weideprojekt steht in der Kritik. Zwei Kälber sind tot, aufgrund unglücklicher Umstände, sagt der Nabu. Der Landkreis Leer sieht das anders.

Eine Herde Heckrinder mit gelben Ohrmarken steht auf einer Weide.

Eine Herde Heckrinder bei einem ähnlichen Weideprojekt Foto: Carsten Rehder/dpa

HANNOVER taz | Die Bilder sind schwer zu ertragen: Ein Heckrind-Kalb liegt im Matsch zwischen nassem Stroh, versucht vergeblich auf die Beine zu kommen, immer wieder, bis es irgendwann erschöpft in einer Pfütze liegen bleibt, schon halbtot aussieht, aber noch atmet wie am Kräuseln der Wasserfläche zu erkennen ist.

Es sind private Handy-Aufnahmen, die zunächst der Bild-Zeitung zugespielt wurden, dann auch im NDR zu sehen waren. Denn dieses Heckrind-Kalb verendet nicht auf irgendeiner Weide – sondern auf einer, die zu einem Weideprojekt des Naturschutzbundes (Nabu) in Ostfriesland gehört.

Eine weitere Aufnahme – der Per­spektive nach vermutlich mit Hilfe einer Drohne gefertigt – zeigt ein zweites Kalb, das lahmt und nicht mehr mit der Herde mitkommt. Beide Tiere müssen von einem Tierarzt von ihrem Leid erlöst werden.

Im Landkreis Leer in Ostfriesland hat das hohe Wellen geschlagen. Das liegt vor allem daran, dass es nicht das erste Mal ist, dass dieses Nabu-Projekt in die Schlagzeilen gerät. 2008 waren hier zwölf Heckrinder verhungert, weil sie auf dem verschlammten Gelände einsanken und nicht genügend zu fressen fanden. Auch bei Nabu-Projekten in anderen Bundesländern hatte es immer mal wieder Negativ-Schlagzeilen gegeben.

Der Fall weckt Erinnerungen an ähnliche Skandale

In diesem Fall hat der Landkreis nun offenbar die Reißleine gezogen, nachdem es in der vergangenen Woche noch hieß, man habe dem Nabu strenge Auflagen gemacht, hieß es am Freitag das Projekt solle eingestellt, die Heckrinder-Herde aufgelöst werden.

Der Nabu betont, er habe bis heute keinen entsprechenden Bescheid erhalten. Überhaupt habe der Verband die Lektionen aus dem Skandal von 2008 gelernt und entsprechend nachgebessert. Die aktuellen Fälle seien aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände zu Stande gekommen und hätten mit den Bedingungen von damals nichts zu tun.

2008 war der Fall vor Gericht gelandet. Dem Nabu waren gravierende Haltungsfehler attestiert worden. Ein Geschäftsführer und zwei Mitarbeiter mussten gehen und wurden außerdem zu einer Geldstrafe verurteilt. Damals war nach einem extrem regenreichen Frühjahr der Ertrag der aufgeweichten Flächen überschätzt und nicht ausreichend zugefüttert worden.

Das sei nun schon lange nicht mehr der Fall. Die Flächenbewirtschaftung sei so verändert worden, dass immer genügend trockene Ausweichflächen zur Verfügung stehen, auch sei den ganzen Winter über zugefüttert worden.

Die Verletzungen der beiden Kälber sollen bei einem unglücklich verlaufenen Zusammentrieb entstanden sein. Man habe der Herde – wie vom Veterinäramt vorgeschrieben – Blutproben entnehmen wollen. Allerdings sei das durch starke Regenfälle vereitelt worden, sodass die Aktion abgebrochen werden musste. Beim Auseinandertreiben der Herde müssten sich die Kälber dann verletzt haben.

Nabu spricht von Personalproblemen

Zumindest das erste verletzte Kalb, das schon am 11. Mai, einen Tag nach dem Zusammentrieb eingeschläfert wurde, habe man auch im Blick gehabt und auf die Meldung vom zweiten Kalb am 21. Mai auch sofort reagiert.

Auffällig ist allerdings: Auf dem Handyvideo sieht es so aus, als sei das Kalb sich selbst überlassen worden. Und die zweite Meldung ging beim Veterinäramt ein und kam nicht von den zuständigen Nabu-Mitarbeitern.

Man habe, verteidigt sich der Nabu weiter, zur Zeit leider erhebliche Personalprobleme. Der zuständige Geschäftsführer hat schon im vergangenen Jahr gekündigt, seine Stelle konnte bisher nicht wieder besetzt werden. Außerdem sei ein weiterer Mitarbeiter ausgefallen und es sei schwierig, geeignetes Fachpersonal zu finden. Mittlerweile habe der Nabu aber personell aufgestockt und die Auflagen des Landkreises in dieser Hinsicht erfüllt. Zweimal täglich werde nun nach der Herde gesehen.

Allerdings sei die Herde insgesamt zu groß geworden für die Fläche. Versuche sie zu verkleinern, scheitern bisher daran, dass der beauftragte Schlachter immer noch auf seine EU-Zertifizierung für die Weideschlachtung wartet. Die Vorschriften dazu seien neu und es habe eine Weile gedauert, bis man in Zusammenarbeit mit den Behörden geklärt habe, wie die entsprechenden Anträge und Konzepte denn überhaupt auszusehen hätten, erklärt der Nabu-Landesvorsitzende Holger Buschmann.

Der Nabu geht bisher davon aus, dass der Rest der Herde in einem ordentlichen Zustand ist. Dem widerspricht das Veterinäramt: Es habe mehrere Tiere in unzureichendem Ernährungszustand angetroffen, auch seien Probleme beim Flächen- und Herdenmanagement offenbar geworden. Die Probleme hätten sich allerdings erst seit 2022 schleichend zugespitzt, in den 15 Jahren zwischen dem ersten großen Skandal und jetzt habe es keine Beanstandungen gegeben.

Alte Frontstellungen spielen eine Rolle

Seitdem die Vorwürfe öffentlich wurden, geht es hoch her. So wurden dem Nabu in der vergangenen Woche Heu- und Silageballen vor die Geschäftsstelle gekippt, die Herden durch Drohnenüberflüge verschreckt und in der Nacht von Freitag auf Samstag sogar ein Weidegatter aufgebrochen. „Das ist wirklich gefährlich, die Tiere könnten auf die Straße laufen und für Unfälle sorgen“, sagt Buschmann.

Dabei spielen womöglich auch alte Frontstellungen eine Rolle. Der „Friesische Verband für Naturschutz“, der die Tierschutzverletzungen öffentlich gemacht hat, setzt sich aus traditionellen Landwirten und Jägern zusammen. Bei denen sind die Sympathien für diese Art von Weideprojekten nicht sehr groß – auf der Webseite findet sich auch ein Videobeitrag aus 2010, in dem mit dem niederländischen Vorbildprojekt Oostvaardersplassen scharf ins Gericht gegangen wird.

Der Verband will auch nicht sagen, wie die Videos entstanden sind. Sie seien ihm zugespielt worden, sagt der Vorsitzende Hansjörg Heeren. In Folge der Veröffentlichungen habe er aber weitere Hinweise auf katastrophale Zustände auf den Weiden erhalten. Der Verband hat Anzeige erstattet und sich einen Anwalt genommen. Er will auf ein Tierhaltungsverbot hinwirken. Die CDU-Kreistagsfraktion in Leer hat sich diese Forderung schon zu eigen gemacht.

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