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Verzweifelte Selbstmorde

■ Aus Protest gegen Männerherrschaft verbrannten sich bisher in Usbekistan 270 Frauen / Ausbeutung bei der Arbeit beklagt / Sexuelle Unterdrückung

Moskau (dpa) - Ganz im stillen spielt sich in der asiatischen Sowjetunion eine Tragödie ab, von der bisher auch die meisten So–wjetbürger nichts geahnt haben. In der mittelasiatischen Sowjetrepublik Usbekistan haben in den vergangenen zwei Jahren an die 270 Frauen Selbstmord durch Selbstverbrennung begangen. Dies wurde in der vergangenen Woche völlig überraschend von der Parteizeitung Prawda mitgeteilt. Als Beweggrund wurde lediglich angeführt, daß die Frauen aus Protest „gegen die Erniedrigung ihrer Ehre und Menschenwürde“ ihrem Leben ein Ende gesetzt hätten. Aus den sowjetischen Medien waren bisher keine weiteren Einzelheiten über die Hintergründe der Tragödie zu erfahren. Lediglich die Literaturnaja Gaseta hat das Thema im vergangenen August aufgegriffen. Dem Bericht zufolge häuften sich die Selbstmorde vor allem in kleinen Dörfern Usbekistans. Das Motiv dafür sei in einer Mischung aus überlieferten islamischen Sit ten und heutigen Arbeits– und Lebensbedingungen zu suchen. Während in der Vergangenheit die Frauen für Heim und Herd zuständig waren und in ihren vier Wänden oft erstickten, müssen sie jetzt auf den Baumwollplantagen härteste körperliche Arbeit verrichten, schreibt der Schriftsteller Adyl Jakubow. Die Männer dagegen säßen als Kassierer, Buchhalter und Wirtschaftsfachleute in den Büros. Nach der Arbeit müßten die Frauen zusätzlich noch die Familie versorgen, und dies oft unter unglaublichen sanitären Bedingungen. So diene als Herd oft nur eine offene Feuerstelle. Anderen Berichten zufolge sind auch Vergewaltigungen und Schwangerschaften außerhalb der Ehe als Gründe für die Verzweiflungstaten der Frauen verantwortlich. So soll der Leiter eines Staatsgutes, der auch vor Morden und illegalen Verhaftungen nicht zurückschreckte, sich seine Frauen einfach von der Straße geholt haben. Wenn sie dann schwanger wurden, verheiratete er sie kurzerhand mit Männern, die gerade greifbar waren. Die traditionellen Sitten machen in derartigen Fällen fast immer die Frau verantwortlich. Die Literaturnaja Gaseta nannte als Beispiel den Fall eines Arztes, der eine Krankenschwester verführt hatte. Als die junge Frau schwanger wurde, lasteten ihr selbst die Kolleginnen im Krankenhaus die Schuld an. Die Frau beging daraufhin Selbstmord, der Arzt kam ungeschoren davon. Das strenge Patriarchat ist nicht nur in Mittelasien, sondern auch bei den Völkern des Kaukasus oft noch bestimmend. Obwohl viele islamische Gesetze - wie zum Beispiel die Ehe mit mehreren Frauen - in der UdSSR abgeschafft wurden, haben sich andere Gebräuche unverändert erhalten. Die zunehmende Bildung und Aufklärung führt den Frauen ihre Lage sicherlich klarer vor Augen. Zu den Opfern gehören dennoch Schülerinnen und Mitglieder des kommunistischen Jugendverbandes „Komsomol“.

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