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Vertrieben aus dem Paradies der Zivilisation

„Ein Freund der Erde“: Der amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle erzählt von Umweltkatastrophen und Ökoterrorismus in Kalifornien. Am Beispiel der radikalen Baumschützer-Organisation Earth Forever interessiert er sich für die Widersprüchlichkeiten eines zu Ende gedachten Naturschutzes

von DIRK KNIPPHALS

Auch wenn es für den Aufmacher einer Buchmessenbeilage etwas ungewöhnlich ist, müssen wir zunächst auf ein Computerspiel zu sprechen kommen. In „Civilisation“, einem Klassiker des Strategiespielgenres, hat man eine Gesellschaft in einer 6.000-jährigen Entwicklung von ihren Anfängen 3.000 vor Christus an in eine ferne Zukunft zu steuern.

Zu den Entscheidungen, die man dabei ständig zu treffen hat, gehört die Wahl der Regierungsform. Man kann etwa bei der Tyrannei beginnen und sich über die Monarchie und die Republik bis zur Demokratie vorarbeiten. Von da aus kann man sich, wir sind hier im Science-Fiction-Teil des Spiels, zwischen virtueller Demokratie, Technokratie und Ökotopie entscheiden. Wählt man die Ökotopie, kann man Ökoterroristen und Ökoranger erschaffen. Mit Hilfe dieser Spielfiguren lassen sich gegnerische Zivilisationen in eine vorindustrielle Zeit zurückwerfen. Der Ökoranger gehört zu den stärksten Waffen des Spiels, effizienter noch als Atombomben. Ganze Städte verwandelt er in menschenleere Parklandschaften.

Der Ökoterrorismus erscheint in dem Spiel, dessen Verkaufszahlen durchschnittliche Romanauflagen locker überschreiten, als ein möglicher Zielpunkt des Zivilisationsprozesses und zugleich auch als dessen größter Gegner: als ein nicht gegen eine bestimmte Gesellschaft, sondern gegen Gesellschaft als solche, gegen Zivilisation überhaupt gerichtetes Projekt. Das ist extrem gedacht. Aber zumindest in abgemilderter Form sind die Theoreme, auf die sich Ökoterroristen stützen können, in der amerikanischen Kultur immer präsent; Michael Crichtons „Jurassic Park“ etwa, um sich nur auf ein herausragendes Beispiel zu berufen, war von Technikskepsis und Naturverehrung getragen. „Die Natur findet einen Weg“, hieß es an einer Stelle, und das war die einzige Sicherheit, die in dem chaostheoretisch informierten Thriller den Angriff der geklonten Dinos überstand.

Auch hierzulande brauchte es keineswegs das BSE-Desaster, um den Slogan „Zurück zur Natur“ mit hohen Feelgood-Werten auszustatten. Man schaue sich nur etwa die Werbung unserer Kraftfahrzeughersteller an. In vielen Spots wird die neueste Kfz-Technik dazu verwendet, sich in herausfordernden Felsformationen oder inmitten grünender Wälder eins mit Mutter Natur zu fühlen. Zur Arbeit oder zum Einkaufen benutzt man im Werbefilm einen Kleinwagen; ab einem Kaufpreis von 40.000 Mark aufwärts fährt man nur noch genießerisch durch ursprüngliche Landschaft. (Dagegen scheint es mit der Naturverehrung unserer Öko-, Anti-AKW- oder, brandaktuell, Anti-Castor-Bewegung nicht sonderlich weit her zu sein; hier geht es eher um Klugheitsregeln von Verbrauchern, die besagen, dass man die Umwelt nett behandeln muss, um im Umgang mit ihr die gewünschten nichtkatastrophischen Resultate zu erzielen.)

„Ein Freund der Erde“, der neue Roman des amerikanischen Schriftstellers T. C. Boyle, handelt von Ökoterrorismus und sonstigem radikalen Eintreten für die Belange der Natur. Wer aber denkt, hier werde das Hohelied von Flora und Fauna gesungen, der lese, sozusagen als Anspieltipp, die Seiten 227 bis 243. Tyrone und Andrea Tierwater, Aktivisten der Organisation Earth Forever, gehen hier für einen Monat in die unbehauste Natur. Sie tun es nackt, ohne jegliche Hilfsmittel, und sie tun es vor Journalisten.

„Denk nur, was für ein Statement wir damit abgeben könnten“, hatte Andrea gesagt. Doch das Statement erweist sich als überaus beschwerlich erkauft. Sie haben Sonnenbrand. Alles juckt. Schon bald ereilen sie die Schrecken der Nahrungssuche; jedes kleine Tier, dessen sie habhaft werden können, wird verschlungen. Von wegen leben im Einklang mit der Natur, „nur um Kalorien ging es letzten Endes“. Bald sind sie zu erschöpft zum Sex. Und es ist schon von großem Witz, wenn T. C. Boyle die Szene von Anfang an als „Vertreibung aus dem Paradies“ beschreibt, dem Paradies keineswegs der unberührten Natur, sondern der menschlichen Zivilisation nämlich. Als die dreißig Tage vorbei sind, sie es mit Müh und Not geschafft haben und Tyrone Tierwater vom Fleck weg wegen früherer Sabotageakte im Dienste der Natur verhaftet wird, spürt er nur Erleichterung. Mehr noch: „Als er den kalten stählernen Griff der Handschellen spürte, die sich klickend schlossen, hätte er vor Freude weinen können.“

„Ein Freund der Erde“ ist – wie etwa schon der vorletzte Roman „Americá“ – durchaus ein Buch mit einem Anliegen. T. C. Boyle verarbeitet Material aus dem tagtäglichen Kleinkrieg, der sich, von Europa aus gesehen eher im Verborgenen, zwischen radikalen Umweltschützern und der Holzindustrie in den Redwoodwäldern der amerikanischen Westküste abspielt. Aktivisten spicken in Nordkalifornien zum Abholzen vorgesehene Bäume ganz real mit Stahlnägeln oder zerstören Versorgungsstraßen. Die Figur der Sierra Tierwater, Tyrones Tochter, die im Buch zur Symbolfigur der Umweltschutzbewegung aufsteigt, darf man etwa als Porträt der wirklichen Baumschützerin Julia Butterfly Hill lesen, die 738 Tage in sechzig Meter Höhe auf einem Reedwoodbaum verbrachte, um ihn vor den Motorsägen zu schützen.

Wobei sich T. C. Boyle letztlich eher für die Widersprüchlichkeiten interessiert, in die sich ein zu Ende gedachter Naturschutz verwickelt, als für eine wirklich konsistente Geschichte einer Bewegung. So kann man sich bei Tyrone Tierwater, der Hauptfigur, nie recht sicher sein, ob er tatsächlich aus Naturliebe handelt oder nicht vielmehr aus Menschenfeindschaft („denn um ein Freund der Erde zu sein, muss man zum Feind der Menschen werden“, heißt es an einer Stelle); er ist als aufbrausend und jähzornig gezeichnet. So bilden die sozusagen geschäftstüchtigen Seiten des Weltrettertums, als da wären geschicktes PR-Taktieren und innovatives Geldeintreiben, einen wichtigen Hintergrund.

Wenn man den etwas apokalypseseligen Beginn hinter sich gelassen hat – der Roman hangelt sich abschnittsweise zwischen den Neunzigerjahren und einer Zukunft um das Jahr 2025 hin und her, in der der Treibhauseffekt ganze Arbeit geleistet hat und Kalifornien eine sturmumtobte Sauna ist –, dann muss man durchaus Bewunderung dafür empfinden, wie sehr Boyle die Natur bei diesem Thema eben nicht verkitscht oder verharmlost: Tyrones erste Frau stirbt, während das Paar in einem Nationalpark das „Glück des naturnahen Daseins“ empfindet, an einem Wespenstich. Sie war allergisch, ohne es zu wissen. Und ganz klar macht Boyle an anderer Stelle, wie furchtbar es ist, von einem Löwen gefressen zu werden, selbst wenn dieser Löwe zu den allerletzten Exemplaren seiner Gattung gehören sollte.

T. C. Boyle spielt in dem Buch ganz wunderbar mit dem apokalyptischen Denken und entzieht ihm zugleich seine Basis der Naturverehrung. Bei alledem hat er seinen Sinn fürs Groteske keineswegs verloren. Die Frage, ob es noch Bäume oder Großtiere geben wird, hin oder her: Die Vorstellung, dass auch im Jahr 2026 noch durch Geigen verhunzte Versionen von „Sympathy for the Devil“ aus dem Radio dudeln, das legt eine Episode vom Ende nahe, ist für ihn genauso schlimm.

T. Coraghessan Boyle: „Ein Freund der Erde“. Aus dem Amerikanischen von Werner Richter. Hanser Verlag, München 2001, 358 Seiten, 39,80 DM

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