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Vertreibung voll versichert

Südliche Neustadt: Mieter werden von Versicherungskonzern an die Luft gesetzt / Stadt hat Vorkaufsrecht, aber kein Geld  ■ Von Heike Haarhoff

Das Hamburger Unternehmen Germanischer Lloyd (GL) versichert nicht nur Schiffe, sondern neuerdings auch die soziale Vertreibung von AnwohnerInnen in der südlichen Neustadt. Betroffen sind die MieterInnen der rund 50 GL-Wohnungen im Wolfgangsweg 9 und 11 sowie Vorsetzen 41 und 42. Ihnen stehen Abriß oder Luxussanierung und damit – für die meisten unbezahlbare – kräftige Miet- erhöhungen ins Haus. Befristete Mietverträge werden ohne triftigen Kündigungsgrund erst gar nicht mehr verlängert, einige Wohnungen stehen bereits leer. Die Gebäude „rotten seit Jahren vor sich hin“, klagt Eve Raatschen, Juristin bei Mieter helfen Mietern.

„Definitiv fest steht, daß wir eine Rekonstruktion oder Modernisierung der Häuser vornehmen werden“, bestätigte gestern ein Unternehmens-Sprecher der taz. Auch ein Abriß der maroden Jahrhundertwende-Gemäuer sei „nicht ausgeschlossen“. Anschließend plane die Versicherung gemäß Baurecht vierstöckige Wohn- und Bürohäuser. Einzig um die Expansion in direkter Nachbarschaft zum jetzigen Unternehmenssitz zu sichern, argwöhnen die AnwohnerInnen.

Entsprechende Anträge liegen dem Bezirksamt Mitte jedoch bisher nicht vor. Umstritten ist auch, ob die Stadt das Bauvorhaben überhaupt genehmigen sollte: „Die Stadt hat eigens für die südliche Neustadt eine soziale Erhaltungsverordnung verhängt“, erinnert Eve Raatschen an das öffentliche Versprechen, die mehrheitlich finanzschwachen MieterInnen des Viertels vor Verdrängung zu schützen. Doch anstatt steuernd einzugreifen, gibt sich die zuständige Stadtentwicklungsbehörde (Steb) hilflos: Zwar habe ein städtisches Vorkaufsrecht auf die Häuser bestanden, als diese erst am vergangenen 1. Juni von der bisherigen Eigentümerin (Hamburg-Mannheimer) in den Besitz des GL übergingen. „Der Verkaufspreis aber lag jenseits unserer finanziellen Möglichkeiten“, bedauert Steb-Sprecher Bernd Meyer.

Die fünf Millionen Mark, die der Stadt dazu zur Verfügung stehen, gingen fast komplett für einen einzigen Hauskauf in Eimsbüttel drauf. „Der Topf ist seitdem nicht wieder aufgestockt worden“, so Meyer. Sollte der GL sein Vorhaben durchsetzen, werde man aber auf einen „Sozialplan“ zur Umsiedlung der MieterInnen bestehen. Darauf wollen die sich aber nicht verlassen: „Wir sind fest entschlossen, hier nicht wegzuziehen“, sagt Matthias Wisbar von der Mieter-Initiative. Gegen die nicht verlängerten Mietverträge haben sie Widerspruch eingelegt. Denn Abriß allein, bestätigt Juristin Raatschen, „ist kein Kündigungsgrund“.

Mut macht den AnwohnerInnen auch, daß bereits die vorherige Haus-Eigentümerin, die Hamburg-Mannheimer-Versicherung, in einem Rechtsstreit gegen die Stadt Hamburg um eine Abrißgenehmigung vor dem Verwaltungsgericht kapitulierte und die Häuser daraufhin lieber verkaufte.

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