: Vertreibung nach der Flucht
Das Flüchtlingsdorf Hemmingstedter Weg in Flottbek wird seit gestern geräumt. Obwohl es als Paradebeispiel für gelungene Integration in Hamburg gilt. Die BewohnerInnen werden umgesiedelt – in Massenunterkünfte in Steilshoop und Eidelstedt
von Eva Weikert
Sayfula Habibi weint. Der 75-Jährige steht vor seinem Häuschen im Flüchtlingsdorf am Hemmingstedter Weg und bittet vergeblich um Aufschub. Drei Jahre hat der Afghane mit seiner Frau den von Grün umwucherten Pavillon am Rande der Siedlung bewohnt. Doch für seine Geranien vor den Fenstern wird Habibi künftig keine Verwendung mehr haben. An diesem Montagnachmittag hat der zuständige Träger „pflegen & wohnen“ Möbelwagen geordert, um die Habibis als eine der letzten BewohnerInnen der Holzsiedlung im feinen Groß Flottbek umzusiedeln. Ziel: eine Massenunterkunft im Brennpunkt Steilshoop.
Die Siedlung gehört zu den 16 Flüchtlingsunterkünften, die auf Anordnung der Sozialbehörde bis 2005 geschlossen werden. „Wegen der rückläufigen Flüchtlingszahlen ist der Bedarf gesunken“, begründete Ende vergangenen Jahres Senatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) die Schließungen und versprach, der Abbau werde neun Millionen Euro einsparen. Den Bewohnern wird irgendwo in der Stadt eine neue öffentliche Bleibe zugewiesen, denn die meisten dürfen aufgrund ihres ungesicherten Status keine Wohnung anmieten.
Habibis Nachbarn, die kurdische Familie Günal, haben ein festes Aufenthaltsrecht und seit vier Jahren sogar einen Dringlichkeitsschein auf eigene vier Wände. Immerhin ein halbes Dutzend Angebote habe ihnen das Wohnungsamt zugestellt, seit vor drei Monaten „pflegen & wohnen“ den 30. Juni als Schließungstag für die Siedlung verkündete. „Aber uns will keiner als Mieter“, sagt Vater Sultan Günal. Immer würden sie abgewiesen mit der Begründung, für die sechsköpfige Familie sei die angebotene Wohnung zu klein.
Günal sitzt an diesem Mittag vor seinem Hauseingang und wartet auf die Polizei. Die hat „pflegen & wohnen“ gerufen, nachdem sich die Familie weigerte, ihr 50-Quadratmeter-Haus mit drei Zimmern, Küche, Bad gegen vier Wände in einer Eidelstedter Gemeinschaftsunterkunft einzutauschen. Am Donnerstag, berichtet Emine Günal, sei ihr ältester Sohn Achmed „aus Scham über den Umzug abgehauen“. Und ihre Tochter Turkam sagt: „Ich gehe hier zur Schule, habe hier meine Freunde und will darum hier nicht weg.“
Die 1990 errichtete Holzsiedlung, in der die Günals seit 1998 leben, gilt als Paradebeispiel gelungener Integrationsarbeit. „Die Bewohner leben mit den Nachbarn in friedlicher und bereichernder Koexistenz“, berichtet Traute Bieger von der Anwohner-Initiative „Brückenschlag“, welche die Flüchtlinge etwa mit Sprachunterricht und Hausaufgabenhilfe unterstützte. Zudem gehöre die Einrichtung zu den „schönsten der Stadt“. Dass die Musterunterkunft auf der Abrissliste der Behörde steht, empört darum die Helferin: „Das ist eine politische Entscheidung.“
So hatte die SPD-Fraktion in der Altonaer Bezirksversammlung noch versucht, die Schließung des Dorfes aus humanitären Gründen zu verschieben, wenn für Familien keine Unterbringung ohne „Zwischenlösung“ möglich ist. Die CDU lehnte jedoch ab. „Die CDU hatte ihrer Klientel hier vor der Wahl versprochen, das Dorf aufzulösen“, empört sich Traute Bieger und verweist auf ein gescheitertes Bürgerbegehren vor sechs Jahren gegen die Unterkunft im gehobenen Flottbek.
Die Umsiedlung in andere Stadtteile gefährdet vor allem die Zukunft der Kinder, wie „Brückenschlag“ warnt. Die Bedingungen in den Schulen der Umgebung seien „ideal“, versichert Helferin Adelheid Meyerholz. Weil der Klassenanteil der nicht-deutschen Kinder im feinen Westen gering sei, „gibt es hier die teure Sprachförderung gratis“. Es dürften nicht einzelne Stadtteile überproportional mit Flüchtlingen besiedelt werden.
Die 16-jährige Turkam besucht eine Förderschule in Blankenese. „Wenn ich durch den Umzug die Schule wechseln muss“, sagt sie, „schaffe ich den Abschluss wohl nicht.“ Dann packt sie weiter ihre Sachen. Eben war die Polizei da und hat die Günals zum Einlenken bewogen.