: Vertrauensfrage gestellt
■ Sonderdelegiertenrat der Alternativen Liste sprach sich noch einmal grundsätzlich für „politische Lösungen“ bei Besetzungen aus Die „Berliner Linie“ von Innensenator Pätzold wird abgelehnt / „Richtlinien“ für zukünftiges Vorgehen gefordert
Am Ende hatte der Geschäftsführende Ausschuß (GA) der Alternativen Liste das erreicht, was er mit der kurzfristigen Einberufung eines Delegiertenrats erreichen wollte: die am Samstag zur Sportschau-Zeit in die Tagungsetage zitierten Delegierten stellten sich hinter den GA. Bei einem „Meinungsbild“ hoben alle die Hände dafür, weiterhin eine „politische Lösung“ im Umgang mit den BesetzerInnen des ehemaligen Arbeitsschutzmuseums in der Fraunhoferstraße zu versuchen. Da die Fraktion auf ihrer Sitzung eine Räumung zumindest nicht ausschließen mochte, wollte der Parteivorstand sich des Rückhalts der Partei versichern. Auch vom Rücktritt des Gremiums war die Rede, falls sie den Eindruck haben sollten, nicht mehr die Position der Partei zu vertreten. Ein Antrag von Wolfgang Tietze aus dem Umweltbereich, den Senat zu einer Räumung zu ermächtigen „falls sie etwa Dienstag ausgesprochen wird“, wurde von 11 Delegierten bei fünf BefürworterInnen abgelehnt. Wolfgang Tietze hatte seinem Antrag hinzugefügt, „falls die Besetzer bis dahin kein Entgegenkommen zeigen“.
Aus dem Bericht des Verhandlungsbeauftragten der AL -Fraktion, Michael Haberkorn, ging hervor, daß die jugendlichen BesetzerInnen allen Vorschlägen tatsächlich eher ablehnend gegenüberstehen. Am Samstag nachmittag hatten sie erklärt, daß sie nicht geneigt seien, als Zwischenlösung ein Zelt für ihre Aktivitäten zu akzeptieren. Die AL ist nun auf der Suche nach anderen Übergangslösungen und denkt dabei beispielsweise an leerstehende S-Bahn-Gebäude.
Bei der fast dreistündigen Debatte bei 30 bis 40 Anwesenden waren so ziemlich alle Meinungen vertreten, die man zu Besetzungen im allgemeinen und im besonderen haben kann. Verbindliche Richtlinien, wie sie etwa die Abgeordnete Lena Schraut einklagte, kamen am Samstag nicht zustande. Einige Kriterien dafür, wie eine generelle Linie bei Hausbesetzungen aussehen könnte, nannte Volker Härtig. Man solle allgemein im Senat diskutieren, ob es nicht andere Möglichkeiten gebe als die der polizeilichen Räumung, um mit Besetzungen umzugehen. Außerdem gebe es „politisch legitimierte Besetzungen, die sympathisch sind“. Bei einem Leerstand von 60 bis 70 Häusern könne der rot-grüne Senat damit leben, wenn einige Häuser besetzt seien. Für das Gebäude in der Fraunhoferstraße sah Härtig allerdings keine moralische Legitimation. Das sei kein Fall von „spekulativem Leerstand“. Der baupolitische Sprecher der AL-Fraktion, Michael Michaelis, möchte am liebsten eine Situation erreichen, in der es nicht mehr nötig wäre, Häuser zu besetzen. „Man kommt überhaupt nicht dazu, Gesetze zu machen!“ monierte er. Die Situation, auch die der AL, sei nun mal inzwischen eine andere als zu Oppositionszeiten. Er schlug vor, bei Neubesetzungen, eine Überlegensfrist von beispielsweise drei Tagen im Senat durchzusetzen.
Die „Berliner Linie“ nämlich, am Freitag nachmittag noch einmal von Innensenator Pätzold dahingehend präzisiert, daß jedes neubesetzte Haus sofort wieder zu räumen sei, wurde von den Alternativen einmütig abgelehnt. Viele der RednerInnen wollten sich vor allen Dingen nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Einer verlangte gar ein „unbefristetes Räumungsmoratorium“. Für die rückhaltlose Unterstützung des Revolutionären Zentrums trat der Bezirk Charlottenburg ein. Micha Hammerbacher vom Jugendbereich meinte, daß sich die „AL vor die Tür stellen muß und sagen, wir sind gegen die Räumung, und wir wollen nicht, daß sie die blödsinnigen Messungen darin machen“. Er fand im Gegensatz zu anderen RednerInnen die Besetzergruppe sehr aufgeschlossen. Als Beleg führte er an, daß schließlich demnächst auch eine „antifaschistische Gruppe aus Charlottenburg“ dort tagen könne.
Die GA-Mitglieder Birgit Arkenstette und Christian Ströbele wollten trennen zwischen dem, was die AL als Partei vertritt und was die AL als Koalitionspartnerin letztendlich mitträgt. Der GA sei zwar eindeutig gegen Räumungsbegehren und werde eine Räumung des Arbeitsschutzmuseums nicht unterstützen, aber man werde an dieser Frage nicht die rot -grüne Regierungskoalition gefährden. Um seine Haltung zu illustrieren, hatte der GA ein altes AL-Plakat aufgehängt. Inschrift: „Es ist besser, unsere Jugend besetzt leerstehende Häuser als fremde Länder.“
Aber gerade um die Jugend habe sich die AL wohl zuwenig gekümmert, vermutete Udo Knapp. Eigentlich sei es ja völlig richtig, wenn Häuser besetzt werden, das Dumme sei nur, „wir stehen auf der anderen Seite“. Außerdem „haben sich die Jungs das falsche Objekt ausgesucht“. Sein Vorschlag hieß „möglichst schnell räumen“, aber gleichzeitig daran zu arbeiten, eine Jugendpolitik zu entwickeln. Diplomatischer drückte die irgendwann unausweichliche Entscheidung zur Räumung Umweltsenatorin Michaele Schreyer aus. Man müsse vielleicht eingestehen, daß hier eine friedliche und politische Lösung gescheitert sei, und den BesetzerInnen nahelegen: „Leute geht raus und notfalls mit Pätzolds Unterstützung.“
RiHe
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