: Verschlußsache 354/70: Handbuch für Mafiosi
Zur Vermeidung ökonomischer Verluste und zur Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen im Bereich Kommerzielle Koordinierung des Ministeriums für Außenwirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik.
Abgesehen von den juristischen Modalitäten, die bei der Gründung von Briefkastenfirmen in Vaduz zu beachten sind, ist der fällt der rechtswissenschaftliche Gehalt dieser Dissertation eher gering aus. Allerdings bietet Schalcks Doktorarbeit für jedes kriminologische Seminar zum Thema „Organisierte Wirtschaftskriminalität“ ein wunderbares Fallbeispiel: Formulierte Schalck doch gerade jene Ziele für seine KoKo, die er „heute vehement leugnet: Spionage und Beschaffung von Embargogütern.
Daß ihm kriminelle Methoden recht und billig waren, wenn es galt, die Parteikasse mit Devisen zu füllen, hatte Schalck schon 1965 in einem Brief an das damalige SED-Politbüromitglied Hermann Matern dokumentiert: Darin erwähnte er „mehr oder weniger unseriöse Methoden“ und schlug als Quellen der Devisenerwirtschaftung ungeniert Operationen wie „illegale Warentransporte“ und „Versicherungsbetrug“ vor. Wenige Monate nach diesem Brief wurde der Bereich Kommerzielle Koordinierung gegründet; Chef wurde Alexander Schalck-Golodkowski.
Fünf Jahre später entwickelte Schalck diese „Vorschläge“ zur „Ausgestaltung des Sozialismus“ in seiner Stasi-Doktorarbeit weiter: Bis ins Detail entwarf er hier, wissenschaftlich verbrämt, jenes mafiose Netzwerk von Tarnfirmen und Strohmännern, Spitzeln und Spionen, jenes System, das aus DDR-Fusel schottischen Whisky werden ließ, über das Waffen an mittelamerikanische Diktatoren verschoben und das Embargo der UNO gegen Südafrikas Rassisten unterlaufen wurden. Die Praktiken, die der MfS-Doktorand Schalck vorschlug, wurden in den folgenden Jahren realisiert.
An den Inhalt seiner Dissertation kann sich Alexander Schalck-Golodkowski heute nicht mehr erinnern. Doktorvater Mielke, so erklärte er dem Bonner Untersuchungsausschuß, habe das Werk seinerzeit sogleich „weggeschlossen“. Die taz dokumentiert Auszüge aus der „Geheimen Verschlußsache MfS 354/70“. thosch
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