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Versager Seehofer?

■ Der Marburger Bund: der Minister spart das Gesundheitswesen zugrunde

Köln (dpa/AFP) – Der Ärzteverband Marburger Bund hat die Streichung umstrittener Leistungen der Krankenkassen und eine stärkere Belastung von Gutverdienenden gefordert.

Der Vorsitzende des Marburger Bundes, Frank Ulrich Montgomery, warf Gesundheitsminister Horst Seehofer „Wortbruch und Versagen“ vor. Seehofers Sparpläne zeugten von Mut- und Konzeptlosigkeit, sagte Montgomery am Samstag in Köln bei der Hauptversammlung des Verbandes, der 57.000 Klinikärzte vertritt. Das Gesundheitswesen werde „systematisch kaputtgespart“. Entgegen seinen früheren Beteuerungen habe Seehofer die Ausgabenbegrenzung verlängert. „Streichungspotentiale, die auf der Hand liegen, werden dagegen von der Politik umgangen wie heiße Kartoffeln.“ Konkret nannte Montgomery Ausgaben von zwölf Milliarden Mark für Naturheilmittel und von 15 Milliarden Mark für Kuren. Der Verbandsvorsitzende sprach sich auch gegen die geplante Erhöhung der Selbstbeteiligung der Patienten aus. Statt dessen müßten Gutverdienende stärker zur Kasse gebeten werden.

Die zweitägige Hauptversammlung des Marburger Bundes bildet den Auftakt der diesjährigen „Ärztewoche“. Wichtigstes Treffen ist der 99. Deutsche Ärztetag, der morgen beginnt. Neben den Bonner Sparplänen will sich der Ärztetag, der alle 330.000 Ärzte vertritt, unter anderem mit dem Wertebild der Ärzteschaft 50 Jahre nach den Nürnberger Ärzteprozessen befassen.

Für den Marburger Bund bat Montgomery die Opfer der Verbrechen von NS-Ärzten und deren Nachfahren um Vergebung. Er appellierte nach Verbandsangaben an alle Mediziner, sich nicht beseelt von der „Gnade der späten Geburt“ zurückzulehnen.

Montgomery betonte, auch ein halbes Jahrhundert nach dem Nürnberger Ärzteprozeß sei eine Auseinandersetzung mit der Rolle der Ärzte im NS-Regime sinnvoll: „Wer geglaubt hat, Europa hätte aus seiner Geschichte gelernt, wurde durch die Vorgänge im einst friedlichen Urlaubsland Jugoslawien und das verbrecherische Handeln eines wahnsinnigen Radovan Karadžić, eines Arztes und Psychiaters, eines Besseren belehrt.“

Alle Anforderungen an den Ärztestand müßten auf ihre Humanität hin überprüft werden. Dies gelte insbesondere für die Behandlung von Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten. Dabei gehe es um die Frage, „ob wir es uns angesichts unserer Geschichte leisten können, schwer traumatisierte und gefolterte Flüchtlinge in Kriegs- und Krisengebiete zurückzuschicken, wenn wir nicht gewährleisten können, daß sich ihr Trauma dort nicht wiederholt“.

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