: Verrücken ist verrückt
■ Die „Translokation“ des Esplanade
In der vergangenen Woche hat Doktor phil. Volker Hassemer, Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, ein neues Wort in die politische Debatte eingeführt. Es heißt „translozieren“. Das Substantiv nennt sich „Translokation“ und bedeutet: Ortsveränderung, Versetzung, Verlagerung. Gemeinhin werden etwa Betriebe von einem Ort zum anderen transloziert. Ungewöhnlich ist dieser Begriff aber im Denkmalschutzmetier. Er ist hier sogar deplaziert, denn Denkmalschutz bedeutet die historische Substanzsicherung an historischem Ort.
Die letzte Woche zwischen dem Investor Sony und dem Senat verabredete Entscheidung, den denkmalgeschützten Kaisersaal und den Frühstücksraum im alten Grand Hotel Esplanade auseinanderzureißen und jeden Raum für sich 50 Meter voneinander entfernt an einer anderen Stelle wieder aufzubauen, bedeutet also nach Ansicht des Stadtplaners Dieter Hoffmann-Axthelm nichts anderes, als einen „Bankrott des Denkmalschutzes“.
Diese Ansicht, gestern bei einer von der Stadtillustrierten Prinz organisierten Podiumsdiskussion unter dem Motto „Rettet das Esplanade“ vorgetragen, machte Hassemer fuchsig. Die Entscheidung für eine Translokation sei ein Erfolg, die Alternative hätte ansonsten „Teilabriß“ geheißen. Denn die beiden Räume würden genau den Eingangsbereich der zukünftigen Sony-Piazza versperren, das Sony- Konzept eines offenen Raumes damit kaputtmachen. Im übrigen gebe es niemanden in der Stadt, der sich so engagiert für die Erhaltung der Räume eingesetzt habe wie er. Die zwei Räume würden nur als „erkennbar fremde Körper“ in einen „neuen Zusammenhang“ gestellt. „Aber es wird einen Widererkennungseffekt geben.“ Derzeit verhandele man mit Sony, wie es sich technisch behutsam translozieren lasse. Die Kosten dafür übernimmt Sony, zum Ausgleich erhält der Elektronikmulti ein Ersatzgrundstück von 4.500 Quadratmetern am Potsdamer Platz. Sekundiert wurde Hassemers Position von Hartwig Wilbrandt, Fachreferent für Film und Medien bei der Kulturverwaltung. Denkmalschutz sei kein Dogma, sagte er, der Widerstand gegen eine „Verrückung“ ein „ziemlicher Unsinn“. Entscheidend sei einzig der „Funktionszusammenhang“, und der werde gewahrt.
„Nein“, widersprach der jetzige Betreiber des Esplanade, Kurt Lutz vom Globe Theatre. Das Hotel sei ein Stück Stadtgeschichte, und diese werde zerstört. „Verrücken ist verrückt“, meinte er. Und Hoffmann-Axthelm fiel nur noch die Assoziation zu „Disneyland“ ein. Anita Kugler
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