: Vermißt gemeldet
■ Zum 150. Geburtstag von Max Liebermann rekonstruierte das Centrum Judaicum die Gedächtnisausstellung von 1936
Verschollen ist das Doppelporträt, das Max Liebermann für die goldene Hochzeit seiner Eltern 1891 malte. 1943 beschlagnahmten die Nationalsozialisten das Bild mit dem Inventar der Witwe des Malers, die aus Angst vor der Deportation eine Überdosis Schlaftabletten geschluckt hatte. Das war das Ende der Familie Liebermann in Berlin. Die Spur des Elternporträts verliert sich im Kunsthandel, bis es 1956 als gestohlen gemeldet wird.
Auf ähnlichem Weg verschwanden einundzwanzig der siebenundfünfzig Bilder, mit deren Ausstellung das Jüdische Museum in Berlin 1936 den im Jahr zuvor verstorbenen Maler Max Liebermann ehrte. Leihgeber und Sammler mußten fliehen oder wurden ermordet. So versteckt sich der faschistische Kunstraub in Herkunftsnachweisen und Verlustmeldungen.
Erhalten aber blieb das „Atelier des Künstlers“, das Liebermann 1902 im umgebauten Dachgeschoß seines Hauses am Pariser Platz zu malen begann. Er selbst leuchtet in seiner weißen Malerjacke nur klein aus einem Spiegel, am gegenüberliegenden Bildrand haben es sich seine Frau Martha und die Tochter Käthe auf einem rosa Sofa mit Büchern gemütlich gemacht. Auf einem Stuhl schnarcht der Dackel. Einer konzentrierten Versenkung in die Arbeit und der vertrauten Geborgenheit der Familie ist der stille, lichtdurchflutete Raum des Ateliers gewidmet.
„Was vom Leben übrigblieb, sind Bilder und Geschichten“ hat das Centrum Judaicum nun seine Ausstellung überschrieben, die die Geschichten von den erhaltenen und verlorenen Bildern um eine Chronik der Familie Liebermann ergänzt. Sie waren Anfang des 19. Jahrhunderts nach Berlin gekommen und hatten einen großen Mode- und Manufakturwarenhandel aufgebaut. Dem Maler Liebermann gelang es, ihr Arbeitsethos und die Tradition des erfolgreichen Unternehmertums ohne Platitüden und Sentimentalitäten im Kunstbetrieb zu leben. Eine solche uneitle Souveränität war nach der Kulturzerstörung der Nationalsozialisten nie wieder möglich.
Aus Familien- und Freundesbesitz geliehen, brachte die Liebermann-Ausstellung 1936 kleine Formate und private Sujets zusammen: Vor einem frühen Küchenstilleben mit Selbstbildnis diskutieren auch heute zwei Besucher über das Zeichen der koscheren Schlachtung, das der Maler seiner Mutter zuliebe dem kopfüber hängenden Huhn mitgab. Studien zur Flachsscheuer, zu den Netzflickerinnen und ein Bild von nähenden Mädchen bezeugen Liebermanns Auseinandersetzung mit dem holländischen Genrebild. Die breiten Pinselstriche lassen die Frauen mit ihrer Umgebung verschmelzen, als ob der Arbeitsrhythmus Herzschlag und Empfindungen synchronisiert hätte.
Malen war für Liebermann ein Bekenntnis der Zugehörigkeit, einer oft liebevollen und stolzen Identifikation: Das gilt für die Familienbilder ebenso wie für die gesellschaftlichen Porträts, die Genrebilder der Arbeiterinnen und die impressionistisch verschwimmenden Sonntagsvergnügungen. Nie zelebrierte er das Leiden am Außenseitertum des Künstlers, wie es etwa die Expressionisten taten; vielmehr erfand er dem bürgerlichen Bedürfnis der Selbstdarstellung neue und offene Formen.
Allein die jüdischen Presse reagierte 1936 auf die Gedächtnisausstellung der Berliner Jüdischen Gemeinde. Aber wie konnte man einen Liebermann, Ehrenbürger der Stadt und über ein Jahrzehnt Aushängeschild einer Akademie, die seine Präsidentschaft vor dem Image des hoffnungslos konservativen Altherrenclubs gerettet hatte, so plötzlich vergessen? Noch zu seinem 85. Geburtstag am 20. Juli 1932 war die halbe Stadt angetreten; zu seiner Beerdigung 1935 ließ sich keiner der „Würdenträger, die in seiner Wohnung ein und aus gegangen waren, kein Abgeordneter der Stadt, kein Offizieller blicken“, wie der Kunstkritiker Karl Scheffler mit Bitterkeit vermerkte.
Scheinbar berührt sich das Werk des Berliner Realisten nicht mit dem faschistischen Feldzug gegen die Moderne. Doch wenn auch seine Malerei von den Nationalsozialisten nicht angegriffen werden konnte, in seiner Rolle als Repräsentant der Künste und Verfechter des französischen Impressionismus traf ihn die faschistische Diffamierung. Mit ihr wurde die Assimilation, die er als Jude und Berliner gelebt hatte, gewaltsam zerstört.
Am 20. Juli, dem 150. Geburtstag des Malers, eröffnet die Alte Nationalgalerie eine Ausstellung mit 100 Gemälden, in der seine Identifikation mit der Stadt und sein Engagement für Kunst und Museen betont wird. Die Kunstgeschichtsschreibung hat kein Gedächtnis dafür, wie plötzlich sie einst vergaß. Katrin Bettina Müller
Bis 3. August, So.–Do. 10–17 Uhr, Fr. 10–13.30 Uhr, Centrum Judaicum, Oranienburger Straße 28/30, Katalog 28 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen