: Vermeintlich linke Richter akzeptiert
Kritik an der Wahl von Vézina und Neskovic zu Richtern am Bundesgerichtshof konnte nicht überzeugen
FREIBURG taz ■Am Bundesgerichtshof (BGH) ist wieder Ruhe eingekehrt. Die Wahl der neuen BGH-Richter Birgit Vézina und Wolfgang Neskovic werde „natürlich respektiert“, stellte BGH-Sprecher Wolfgang Krüger jetzt klar. Zuvor waren gegen deren Wahl massive Proteste aus der baden-württembergischen Justiz, aber auch von den Richtervertretungen am BGH laut geworden.
Auf Unverständnis stieß vor allem, dass der Richterwahlausschuss, dem 16 Mitglieder des Bundestags und alle Landesjustizminister angehören, ein negatives Votum des BGH-Präsidialrates einfach ignorierte.
So hieß es in einer Erklärung von Helmuth Borth, dem Stuttgarter Landesvorsitzenden des Deutschen Richterbunds, Vézina und Neskovic wären „allein“ deshalb gewählt worden, weil sie „Mitglied des Arbeitskreises sozialdemokratischer Juristen“ (ASJ) seien. Doch an diesem Vorwurf stimmen schon die zugrunde gelegten Informationen nicht. Vézina hat inzwischen öffentlich versichert, dass sie weder Mitglied der SPD noch der ASJ ist oder gewesen ist.
Neskovic war zwar früher ASJ-Vorsitzender in Schleswig-Holstein, wechselte aber schon vor sechs Jahren (!) im Streit zu den Grünen. Und auch von dieser Seite wird er nicht gerade protegiert. Nachdem er die Ökopartei wegen ihrer Zustimmung zum Kosovokrieg massiv kritisierte, wurde sogar ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet, das mit einem Vergleich endete.
Zweiter Vorwurf ist die angeblich fehlende „fachliche Eignung“ von Vézina und Neskovic. Hier verweisen die Kritiker auf die entsprechenden Voten des BGH-Präsidialrates. Im Falle von Birgit Vézina kann man sich wirklich etwas über die Wahl wundern. Sie war zwar für drei Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht, in der Fachjustiz wurde sie bisher trotz verschiedener Bewerbungen aber noch nicht einmal befördert.
Neskovic dagegen ist bereits seit 1990 als Vorsitzender Richter am Landgericht Lübeck tätig und hat herausragende dienstliche Beurteilungen erhalten. Mit einer Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht erreichte er 1994 immerhin eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der Besitz geringer Mengen Haschisch zum Eigenverbrauch muss seither nicht mehr bestraft werden. Der BGH-Präsidialrat kritisierte an Neskovic – laut Begründung des Votums – lediglich die fehlende Erfahrung an einem Oberlandesgericht (OLG). Damit steht Neskovic am Bundesgerichtshof aber nicht allein. Viele BGH-Richter kommen aus den Ministerien und haben keine oder nur wenig OLG-Erfahrung. Doch auf die Details lassen sich die Kritiker nicht gerne ein. Sie beharren letztlich auf dem formalen Argument, dass der Richterwahlausschuss von einem negativen Votum des BGH-Präsidialrates nicht abweichen dürfe. Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) hat sogar eine entsprechende Gesetzesänderung angeregt.
Bisher ist das BGH-Votum aber keineswegs bindend, insofern kann sich auch der Wahlausschuss darüber hinwegsetzen und eine eigene Einschätzung über die fachliche Eignung treffen. Dies erscheint schon deshalb gerechtfertigt, weil der BGH als höchstes deutsches Straf- und Zivilgericht eben nicht nur Einzelfälle, sondern auch Grundsatzfragen entscheidet und damit quasi gesetzgeberisch tätig wird.
Es darf auch nicht sein, dass Nonkonformisten wie Neskovic künftig per BGH-Votum am „Marsch durch die Instititutionen“ gehindert werden können. Immerhin steht die Vermutung im Raum, dass das vernichtende BGH-Votum für den Lübecker Richter etwas mit dessen Kritik zu tun habe, in Drogenfragen sei der BGH eine „Bastion der Ignoranz“. CHRISTIAN RATH
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