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Verlorene Generationen porträtiert

Bis zum 18. Dezember im 3001: Bei den 14. Lateinamerika-Filmtagen treffen groteske und poetische Spielfilme auf Dokumentarisches zu Rassismus, Baseball oder Musik . Im Mittelpunkt stehen Filme aus und über Argentinien

„Glauben Sie, die Zustände werden sich bessern?“ fragt die junge Frau vorbeieilende Passanten für ihre Marketingumfrage. Die meisten antworten nicht. Was sollten sie auch entgegnen, als Bewohner der maroden Millionenmetropole Buenos Aires? Durchaus ironisch hat Regisseurin Sandra Gugliotta ihr Spielfilmdebüt Ein Glückstag (Un día de suerte) betitelt. Dessen 25-jährige Protagonistin Elsa hält sich mit mehr oder minder legalen Jobs über Wasser und träumt doch eigentlich vom Auswandern nach Rom. Mit wackeliger Kamera und hastigen Schnitten zeichnet Gugliotta, selbst Argentinierin mit italienischen Vorfahren, ihr Porträt einer No Future-Generation, mit dem am Donnerstag die 14. Lateinamerika-Filmtage im 3001 eröffnet werden.

Regiedebüts von Frauen finden sich im zweiwöchigen Programm, dessen Schwerpunkt diesmal Filme aus Argentinien bilden, gleich mehrere: In Gabriela Davids Taxi – eine Nacht in Buenos Aires treffen zwei einsame Seelen aufeinander. Eine poetische, in Rückblenden erzählte Geschichte von einem Mann, der zum Überleben Taxis klaut und dabei ein angeschossenes Mädchen aufgabelt. Im zombieähnlichen Zustand dümpeln dagegen die Protagonisten des bereits angelaufenen, meisterlichen Dramas Der Morast von Lucrecia Martel vor sich hin. Von der Liebe wiederum handelt das spannungsgeladene Melodram Durch das Fenster – allerdings in ihrer neurotisch-symbiotischen Variante zwischen Mutter und Sohn. Auch hier geht es der Regisseurin, der Brasilianerin Tata Amaralan, darum, anhand eines Einzelschicksals die Perspektivlosigkeit gleich einer ganzen lost generation aufzuzeigen.

Erfrischend ist Spiel für mich von Rodrigo Fürth: Auf der Suche nach seinen familiären Wurzeln reist der junge Drummer Carlos in die Pampa, um ein totgeschwiegenes Geheimnis zu entdecken. Das Erstlingswerk des Argentiniers Fürth wartet mit skurril-grotesken Zügen und darstellerischer Gewalt auf.

Im Mittelpunkt von Veronique Friedmanns und Rolf Blanks Fluchtpunkt Argentinien und Zech – Aufzeichnungen eines Emigranten steht die Aufarbeitung der Schicksale von NS-Flüchtlingen, die Autoren werden zu Gast sein. Mit seiner eigenen Familie beschäftigt sich wiederum German Kral in Buenos Aires, meine Geschichte.

Erstmals wird die Lateinamerika-Gruppe von amnesty international im Rahmen des Festivals zwei Filme vorstellen: Am Dienstag, 10.12.,dem Internationalen Tag der Menschenrechte, wird in Anwesenheit eines Gastes Lourdes Portillos Dokumentarfilm Junge Frau vermisst aufgeführt. Die US-amerikanisch-mexikanische Koproduktion schildert das fatale Schicksal von mehr als 200 entführten, vergewaltigten und ermordeten Mexikanerinnen, die in Billiglohnfabriken an der US-Grenze arbeiteten. Mit dem dreiteiligen Die Stunde der Feuer von Fernando E. Solanas zeigt das 3001 (ebenfalls mit Gast) einen Klassiker des politischen Dokumentarfilms um die Auswirkungen von Neokolonialismus und Rassismus.

Weitere Beiträge kommen aus Brasilien und Kuba: Während der Finne Mika Karismäki für Ich lebe in Brasilien den musikalischen Reichtum Brasiliens bis auf seine Ursprünge folgt, beschäftigt sich die Dokumentation Das Spiel Kubas von Manuel Marin Cuenca mit der politischen Baseballverrücktheit der Insulaner. Patricia Batlle

ab Donnerstag, bis 18.12., tägl., 3001; Filme und Termine siehe Kinoprogramm

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