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„Verlaßt die Stadt, sonst bringen wir euch um“

■ Ein deutsches Fernsehteam wurde unter Todesdrohungen aus Tatvan vertrieben

Zunächst wurden wir von einigen Männern, unter ihnen der örtliche Spitzenkandidat der rechten Regierungspartei DYP, „nur“ bedroht: „Wenn ihr nicht sofort die Stadt verlaßt, bringen wir euch um. Mit Berichten über Menschenrechte hetzt ihr ausländischen Journalisten hier nur die Bevölkerung auf.“ Dann aber gingen aus der Menschenmenge, die sich mittlerweile gebildet hatte, mehrere Provokateure zu tätlichen Angriffen über; sie schlugen auf uns ein, demolierten Teile der Kameraausrüstung und nahmen uns unser Filmmaterial weg.

So geschehen am letzten Samstag in Tatvan, einer Stadt in Türkisch-Kurdistan, wo wir, Mitarbeiter eines deutschen Fernsehteams (Spiegel-TV), für einen Bericht über den Kommunalwahlkampf Aufnahmen der Parteibüros und des Rathauses machten. All das ereignete sich unter den Augen und unter aktiver Teilnahme von Zivilpolizisten, die sogar einige von uns herbeigerufene uniformierte Polizisten daran hinderten, einzugreifen: „Haut ab, das hier ist unser Job!“ Wir konnten uns schließlich in unser Hotel retten, wo wir allerdings von etwa 15 Zivilpolizisten bedrängt wurden. „Ihr seht, wenn ihr Tatvan nicht sofort verlaßt, kommt ihr hier nicht lebend raus.“ Unter diesem Druck verließen wir die Stadt. Auf der Strecke nach Diyarbakir wurden wir dann an einem Militärposten zwei Stunden lang festgehalten.

Der Vorfall zeigt nur zu deutlich, unter welchen Bedingungen die Kommunalwahlen in Kurdistan verlaufen werden. Die prokurdische Demokratie-Partei DEP hat schon vor einigen Wochen aufgrund von Massenverhaftungen ihrer Mitglieder sowie zahlreicher Anschläge auf ihre Kandidaten und Parteibüros ihre Kandidatur zurückgezogen.

Die Stadt Tatvan, in der bei den letzten Kommunalwahlen von 1989 ein fortschrittlicher Bürgermeister ins Amt gewählt worden war, hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Zentrum staatlichen Terrors entwickelt. Der Polizeikommandant, General Korkmaz Tagma, gilt als Kopf der „Kontra-Guerilla“ und übt die faktische Macht über alle administrativen und gewählten Instanzen in der Provinz aus.

Innerhalb der letzten Monate ließ er sukzessive den Bürgermeister von Tatvan, Mehmet Özalp, dessen beide Stellvertreter sowie Kandidaten der Sozialdemokratischen Volkspartei (SHP) festnehmen. Darüber hinaus soll er für die Ermordung zahlreicher Journalisten, Prediger und Dorfvorsteher verantwortlich sein. M. Enger/C. Guttstadt/

H.-P. Weymar, Diyarbakir

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