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„Verlaßt die Show als Missionare“

■ Wahlkampf der Front National: Fröhliches Lachen beim Stichwort Auschwitz/ Aus Paris Bettina Kaps

Das Simply-Red-Konzert am Wochenende im Pariser „Zénith“ war ausverkauft; bei derlei Veranstaltungen kein Wunder. Doch zwei Tage zuvor drängelte sich das Publikum ebenfalls an der Abendkasse, und da war weniger Kultur angesagt: Da stand die Jean- Marie-Le-Pen-Show auf dem Programm. 40 Francs, etwas mehr als ein Kinoabend, kostete das Spektakel. Direkt unter dem Heilsbringer darf klatschen, wer 500 Francs oder mehr hingeblättert hat, denn die vorderen Ränge sind als „Unterstützungsplätze“ ausgezeichnet. Wir sind arm, aber ehrlich, bettelt die Partei des Millionärs Le Pen.

Fetzen aus der Carmina Burana versetzen das Publikum in feierliche Stimmung; niemand stört es, daß Carl Orffs Musik bereits im Dritten Reich beliebt war. Bevor ER leibhaftig auftaucht, wird Le Pen auf riesige Leinwände projiziert, als tapferer Held des Indochina- und Algerien- Krieges, dann friedlich mit blondgelockten Kindern im Arm, schließlich in einer wogenden Menge froher Parteigänger, die in einem schier unaufhaltsamen Strom vorwärts drängen. Kurz, aber deutlich ist zu sehen, wie ihn ein Schwarzer umarmt, gewiß ein Übersee-Franzose.

Wuchtig schallt jetzt Beethovens Schicksalssymphonie aus den Boxen. Die Spannung steigt. Die ersten Politiker betreten das Podium, das Publikum jedoch verlangt nur Einen. „Le Pen President, Le Pen President“, schallt es aus 6.000 Kehlen. Der Vorredner verschafft sich Aufmerksamkeit. Obwohl die Fans ihre Rollen kennen, verteilt er noch letzte Regieanweisungen. „Seid militant und großzügig mit Fahnen und Applaus, damit es ein gelungener Abend wird“, fordert er. „Ganz Frankreich sieht uns zu, denn diese Show wird in 330 Säle übertragen. Le Pen kämpft, aber er kann nicht alles allein machen. Er braucht euch. Verlaßt diese Veranstaltung als Missionare.“ Im Saal wird es dunkel. Über die Bühne quillt weißer Nebel, dahinter schwebt in blauem Neon eine Leuchtschrift nach oben: „Le Pen vite“. Der Slogan ist schon einige Jahre alt, doch die wachsende FN- Familie bleibt treu fixiert auf ihren Chef: „Schnell Le Pen“, alles ist schlecht im Land, nur du kannst Ordnung bringen. Vor Le Pen kommen noch die Frauen: Adrett im Kostüm tippeln die 62 FN-Kandidatinnen aus dem Großraum Paris auf die Bühne, winken freundlich und setzen sich stumm auf weiße Gartenstühle. Für die Bonzen sind schwarzlederne Sessel aufgereiht.

Endlich setzt der Sklavenchor aus Verdis Nabucco ein, und das Stammpublikum tobt. Denn es weiß: Unter diesen Klängen zieht er ein, immer. Ein Knäuel von Fotografen schiebt sich über die Bühne. Aus ihrer Mitte ragt mit breitem Lächeln der silberblonde Hühne: Le Pen. Stehend liefert die Gemeinde ihre Ovationen, eine Welle blau-weiß-roter Fahnen wogt durch den „Zénith“.

Jean-Pierre Gendron hat wieder ganze Arbeit geleistet. Als Dekorateur, nachimpressionistischer Maler in der Freizeit und Schwiegersohn von Jean-Marie Le Pen sorgt er für Dekor und Musik der Auftritte. „Alle Effekte konzentrieren sich auf unseren Führer, dem wir eine sakrale, spirituelle Dimension verleihen, um sein Image als Hoffnungsträger angesichts der vorherrschenden Trostlosigkeit zu verstärken“, erläutert ein Text der Partei. Um Jean-Maries Äußeres kümmert sich Jeanne- Marie, Le Pens zweite Frau.

Stets locker sitzt der dunkelblaue Zweireiher und verleiht dem massigen Mann eine gewisse Eleganz. Locker auch beginnt er seine Rede, ohne Pult und ohne Manuskript. Mit weit ausladenden Gesten schreitet er beim Reden auf und ab, getreu seinem Vorbild, dem amerikanischen Fernseh-Evangelisten Billy Graham. Ein gut am Anzug verborgenes Mikrofon verleiht ihm Bewegungsfreiheit und Stimmgewalt. Zwei Stunden lang spricht Le Pen. Er prangert den Bürgerkrieg an, den „unheilvolle Kräfte“ gegen ihn und seine Front entfacht hätten. Kaum nennt er die „Bürgerkriegsparteien“ beim Namen — Premierministerin Cresson, Innenminister Marchand, die Tageszeitung 'Le Monde‘ — gellt wütendes Protestgeschrei durch die Halle. Auch der französische Primas, Kardinal Decourtray, ist in Ungnade gefallen, seitdem er Le Pen nach langem Schweigen mit „einer Art neuem Hitler“ verglich.

Wie ein Hitler sehe er doch wirklich nicht aus, scherzt Le Pen, und witzelt, bis das Publikum beim Stichwort Auschwitz in brodelnde Fröhlichkeit ausbricht: „Unsere Politiker erinnern mich an das alte Ehepaar aus dem Pariser Vorort Asnières, das eine Weltreise gewonnen hatte. Sie sahen San Francisco, sie sahen Tokio, sie sahen Rio, und jedesmal sagt die Frau zu ihrem Mann: ,Schau, das erinnert mich an Asnières.‘ So ergeht es uns: Was wir auch sagen, was wir auch tun, alles erinnert die Politiker an Petain oder an Ausschwitz.“ Die Fahnen wogen, die Füße trommeln, eine alte Frau hackt begeistert mit ihrem Stock auf den Boden.

„Wir schließen keinen Mann und keine Frau aus, die diesen Namen verdienen“, schreit Le Pen, während hinter ihm ein romanisches Kreuz aufleuchtet. Sein Publikum fühlt sich eingeschlossen in die schützenden Arme der FN-Familie. Zwei Stunden, solange die Rede strömt, sind die 6.000 eins. Es sind ganz normale, gutbürgerliche Leute, die Le Pen da zujubeln und denen das Herz bei der abschließend gesungenen Marseillaise übergeht: „An die Waffen, Citoyens, bildet Bataillone, damit das unreine Blut unsere Felder tränke.“

Draußen stehen die Bataillone, da zeigt die Front National ihr anderes Gesicht ganz und gar unverhüllt: Jungs in schwarzen Kampfanzügen, kurzgeschorene Schädel, ein paar scharfe Hunde. Hell leuchtet das Holz der Baseballschläger.

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