: „Verkehrte Welt“
■ Sozialmieten bald höher als im frei finanzierten Wohnungsbau?
„Viele Nachbarn schauen sich schon jetzt nach frei finanzierten Wohnungen um, weil sie die Sozialbau-Mieten Im Ohkamp in Fuhlsbüttel demnächst nicht mehr bezahlen können.“ Was sich wie verkehrte Welt anhört, hält Nicola Kleist, vom Vorstand der Fuhlsbütteler Mieter-Interessengemeinschaft, für eine durchaus realistische Einschätzung: Wenn die im Juni vom Senat beschlossene Erhöhung der Fehlbelegungsabgabe für Sozialwohnungen ab dem 1. Januar 1996 greift, müssen viele Sozial-MieterInnen Summen für das Dach überm Kopf berappen, die insgesamt – also Nettokaltmiete plus Fehlbelegungsabgabe – deutlich über dem Mietenspiegel vergleichbarer frei finanzierter Behausungen liegen.
Dabei handelt es sich keineswegs um Kleckerbeträge, wie der Verein Mieter helfen Mietern errechnet hat: Je nach Einkommen und Wohnlage soll ein Mieter für eine 75 Quadratmeter große Wohnung monatlich 237 Mark mehr blechen müssen, als ein Vermieter für eine entsprechende, privat finanzierte Unterkunft von ihm verlangen dürfte.
Für Jurist Jürgen Twisselmann ein klarer Verstoß gegen geltendes Recht: „In einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen heißt es, daß die Gesamtbelastung aus Kostenmiete und Fehlbelegungsabgabe nicht die ortsübliche Miete übersteigen darf.“ Daran müsse sich auch der Hamburger Senat halten. Ansonsten droht Twisselmann mit Widerspruch beziehungsweise Klage vor dem Verwaltungsgericht. Seit fünf Jahren werden in Hamburg SozialmieterInnen zur Kasse gebeten, wenn ihr Verdienst die Einkommensgrenzen für den sozialen Wohnungsbau deutlich überschreitet. Bisher betrug die monatliche Ausgleichszahlung bei 50-, 75- oder 100prozentiger Überschreitung je nach Einkommen zwei, drei oder vier Mark pro Quadratmeter.
Nach der neuen Regelung wird es sechs Abstufungen (eine bis sechs Mark) geben. Blechen muß bereits, wer die Verdienstgrenze um 25 Prozent überschreitet. Damit die Mieten nicht ins Unendliche wuchern, gibt es Kappungsgrenzen: „Die greifen, wenn die Miete plus Fehlbelegungsabgabe den Mittelwert aus dem Mietenspiegel überstieg. Und dabei wird es auch bleiben“, versichert Baubehörden-Sprecher Manfred Thiede und weist den Vorwurf zurück, der „unsoziale Wohnungsbau“ bestrafe die Mieter und zwinge sie künftig zum Auszug.
„Stimmt nicht“, kontert Twisselmann und verweist auf Schreiben der Mietenausgleichszentrale, die den Betroffenen frühzeitig „schonend“ beibringen sollen, was ihnen ab Januar ins Haus steht: Kappungsgrenzen wird es zwar weiterhin geben, doch geschickterweise treten die erst in Kraft, wenn eine bestimmte Höchstmiete überschritten ist. Und die liegt um bis zu drei Mark über dem Mietenspiegel. Geschickt verpackt, aber dennoch „eine Farce“, findet Twisselmann.
Heike Haarhoff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen