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WELTGESUNDHEITSBEHÖRDE BEWERTET NATIONALE GESUNDHEITSSYSTEMEVerkehrte Welt

Frankreich, Italien, Andorra, Malta, Oman unter den ersten zehn, der reiche Sozialstaat Deutschland erst auf Platz 25 – nach Zypern, Saudi-Arabien und Kolumbien – die USA gar erst auf Rang 37. Eine scheinbar verkehrte Welt zeigt die diesjährige Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation über die Qualität der nationalen Gesundheitssysteme ihrer 191 Mitgliedsländer. Die Erklärung für diese überraschenden Platzierungen liegt in den neuen Kriterien und ihrer Gewichtung, die die WHO angewandt hat. Erstmals hat die WHO die Kundenorientierung und -qualität nationaler Gesundheitssysteme gemessen, die Kosteneffektivität, die faire Verteilung der Kostenlasten für ärztliche Behandlung und Medikamente auf die Bevölkerung sowie den Zugang ärmerer Bevölkerungsschichten zu den in einem Land existierenden Gesundheitseinrichtungen und Behandlungsmethoden.

Für das erstaunlich schlechte Abschneiden Deutschlands ist vor allem der mit 10,5 Prozent extrem hohe Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt verantwortlich. Dieser Wert wird nur noch von den USA (13,7 Prozent) übertroffen. Bei anderen untersuchten Kriterien – zum Beispiel der Achtung der Würde von Patienten und ihrer Entscheidungsfreiheit durch die Ärzte – liegt Deutschland unter den ersten zehn Staaten.

Doch die – im Vergleich zu Deutschland und anderen nördlichen Industriestaaten – größere Kosteneffizienz, die die WHO für die Gesundheitssysteme Kolumbiens und anderer Länder des Südens festgestellt hat, sollte nicht zu falscher Beruhigung verleiten. In den meisten dieser Länder – auch das zeigt die WHO-Untersuchung – ist nach wie vor nicht einmal die gesundheitliche Grundversorgung breiter Teile der Bevölkerung gesichert. Die WHO selbst hat aufgrund politischen Drucks und sinkender Finanzzuschüsse aus den reichen Industriestaaten in den letzten Jahren ihre Basisgesundheitsprogramme für viele Länder des Südens zum Teil drastisch zurückfahren müssen. Am dramatischsten ist die Situation in vielen Staaten Afrikas, die neben Afghanistan, Nordkorea und Birma die letzten 25 Plätze der WHO-Statistik belegen. Von der Wiederkehr einst überwunden geglaubter Krankheiten und Seuchen sind die Menschen in diesen Staaten am stärksten betroffen – und zumeist völlig schutzlos.

Im globalen Nord-Süd-Maßstab wird das Gefälle bei der Gesundheitsversorgung immer größer. Das zeigt auch der am Rande der Genfer WHO-Versammlung Anfang Juni gescheiterte Versuch, die großen Pharmakonzerne zur Abgabe deutlich verbilligter Aids-Präparate an die von dieser Krankheit am stärksten betroffenen Bevökerungen in Afrika und Asien zu bewegen. ANDREAS ZUMACH

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