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Verkehrserziehender Fisch

■ Über die Renaissance eines ur-christlichen Symbols   Von Uwe Birnstein

Kreuz ist out, Fisch ist in: Wo früher Silberkreuze am Kettchen ChristInnen outeten, bezeugen nun Fische deren rechten Glauben. Denn die bekennende Kirchenszene hat ein urchristliches Symbol wiederentdeckt. Was die ersten Jesusjünger noch mühsam in die steinernen Wände ihrer Gebetsgrotten meißeln mußten, können sich ihre modernen GlaubensnachfolgerInnen heutzutage im einschlägigen Fachhandel kaufen.

In Silber und Gold, auf PVC und Recyclingpapier, als Kugelschreiber und Schlüsselanhänger – der Fischmarkt boomt. Hersteller und Händler profitieren von der geheimnisumwobenen Bedeutung des stilisierten Fischleibs. Seit sich die Haiopei-Verschnitte tausendfach auf Autoaufklebern auch durch Hamburgs Straßen schieben, fragen sich selbst norddeutsche FischexpertInnen, was es damit denn nun eigentlich auf sich habe.

Die Falle schnappt zu, sobald jemand die FischkleberInnen selbst befragt. Denn darauf warten die modernen MenschenfischerInnen nur: Angesprochen werden, um dann ihren Glauben zu bezeugen. Mit brüchigen Griechisch-Kenntnissen geht's los: „ICHTYS“, erklären sie, bedeutet auf griechisch „Fisch“ – aber nicht nur das, denn die Anfangsbuchstaben dieses Wortes weisen hin auf „Jesus Christus, Gottes Sohn und Erlöser“. Als die Christen noch verfolgt wurden, galt ihnen deshalb der Fisch als Erkennungszeichen.

Obwohl der Wissensdurst der meisten Frager und Fragerinnen mit dieser Information hinreichend gestillt sein dürfte, folgt in der Regel eine Predigt mit dem Ziel, Menschen zu Jesus zu führen. Ein Trick, mit dem DDR-ChristInnen seinerzeit immerhin Erfolg hatten. Im Gegensatz zu den pazifistischen „Schwerter zu Pflugscharen“-Aufklebern mußten die Fisch-NutzerInnen jedoch nie Angst vor der VoPo haben. „Für die galt der Fisch als Zeichen für den Anglerverband“, berichtet ein sächsischer Bekenner.

Von der positiven Wirkung des selbstklebenden Glaubensbekenntnisses auf Autos ist auch ein Psychologe überzeugt: Der Fisch habe eine „verkehrserzieherische Wirkung“, meint der – freilich selbst gläubige – Schwabe Ulrich Giesekus. „Wenn ich in der Versuchung bin, noch eben knapp vor jemand anderem in eine Parklücke zu springen, wird mir der Fisch auf der Heckscheibe mahnend bewußt. Er sagt: 'Tu's nicht'!“

Vielleicht hätten Fische auch auf anderen Werbeträgern verkehrserzieherische Wirkung. Doch davor scheut selbst die profitorientierte Glaubensfischindustrie noch zurück. Ausgiebige Recherchen in mehreren Hamburger Kondomerien bestätigten, daß es bislang noch keine Präservative mit Fischaufdruck gibt.

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