: Verkehrsberuhigung auf die billige Tour
■ Aus der Senatsklausur: kunterbunte Sparvorschläge, vom Straßenbau bis zum Haustier
Angesichts der Lage der Bremer Staatsfinanzen und auch der Rezession, die die Bremer Wachstumsraten wieder unter (westdeutschen) Bundesdurchschnitt gedrückt hat, kennt der Bremer Senat keine Tabus mehr. Der taz liegt der streng vertrauliche Entwurf zu dem Protokoll der streng vertraulichen Beratungen vor, zu denen der Senat sich kürzlich nach Achim zurückgezogen hatte. Drei Tage lang warteten Fernsehjournalisten dort vor den verschlossenen Türen, um als erste zu erfahren, wo der Rotstift angesetzt werden soll.
Nichts wird gestrichen, nur „Prüfaufträge“ seien vergeben worden, hieß es auf einer anschließenden Pressekonferenz. Aber was soll geprüft werden? Mit einem kleinen Einblick in den 30seitigen Protokoll-Entwurf wollen wir das Geheimnis lüften.
In Wahrheit gab es in einigen Punkten nicht nur Prüfaufträge, sondern handfeste Spar-Entscheidungen oder immerhin knallharte Willensbekundungen des Senats, die nur noch in Gesetzesentwürfe gegossen oder in Verordnungen umgesetzt werden müssen.
Zum Beispiel die Hundesteuer: Der Senat ist sich einig, daß sie schon zum 1. Januar von 150 auf 180 Mark für den Ersthund und gar auf 200 Mark für den Zweit- und jeden weiteren Hund angehoben werden soll (S. 24 des Protokoll-Entwurfs). Eine kleine Rechenaufgabe erweist die Tragweite des Beschlusses: Wenn nur 500.000 Bremer Bürger sich einen Zweithund anschaffen, kommen jährlich 100 Millionen zusammen.
Auch bei einem anderen Thema war der Senat sich einig: Beschluß Nummer 48. Im Wortlaut: „Der Senat hält einen aufwendigen Straßenrückbau bzw. aufwendige Verkehrsberuhigungsmaßnahmen nicht mehr für realisierbar“. Der Bausenator wird deshalb aufgefordert, für den Haushalt 1994 „die geplanten Maßnahmen mit ihren jeweiligen Kosten darzulegen“, was bisher offenbar nicht üblich war.
Wer glaubt, da bleibe mit dem Wörtchen „aufwendig“ ein kleines Schlupfloch offen, der irrt. Durch den Beschluß Nummer 47 hat der Senat intelligent abgesichert: Auch für Straßenbau-Maßnahmen gilt, daß sie „nicht mehr für realisierbar“ gehalten werden. Diese Taktik muß man nur auf die Reperatur ausdehnen und 20 Jahre durchhalten, dann ist die Verkehrsberuhigung kostenlos. Daß diese Taktik schon praktiziert wird, also jetzt nur in den Rang eines offiziellen Senatsbeschlusses gehoben wird, kann jeder Autofahrer nachprüfen: Er fahre mal durch die Straße „Auf den Häfen“ mit mehr als 30 km/h!
Der Senat hatte durchaus andere Ideen zur Erhöhung der Einnahmen. Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeit sollen nun in Spielhallen 300 Mark, in Gaststätten 60 Mark Steuer kosten, und da dies schon für 1994 zu Buche schlagen soll, bittet „der Senat... den Senator für Finanzen um einen entsprechenden Vorschlag für das Haushaltssicherungsgesetz“.
Andere Sparvorschläge sind schon bekannt: Rechtsberatung soll für Bremer Bürger nicht mehr kostenlos sein, die Abteilung Baumschutz beim Umweltsenator soll aufgelöst werden, das Schüler-Bafög wird gestrichen,
hierhin die Frau mit Hund
Wäre Oskar ein Zweithund, er würde Frauchen in Bremen bald 200 Mäuse kosten.Foto: Katja Heddinga
die Musikbibliothek aufgelöst, der „Kostendeckungsgrad“ der Kitas soll erhöht, Uni-Sportkurse sollen teurer werden und der Justizsenator soll prüfen, ob die Zuschüsse zu den Privatschulen im Einklang mit Art. 29 der Bremer Landesverfassung stehen. Beruhigend dürfte sich auswirken, wenn — wie geplant — politische Bildung nicht mehr als Bildungsurlaub anerkannt wird. Diese und einige Vorschläge mehr sollen also, das war fester Wille des Senates in Klausur, geprüft werden.
Und dann gibt es eine Abteilung von Themen, bei denen man dem Protokollentwurf eine gewisse senatorische Ratlosigkeit ansieht. Zum Sparvorschlag Nummer 14 „Wirtschaftliche Schulorganisaton und Abbau einzügiger Abteilungen“ hat es offenbar keine Einigung gegeben. Der Senatsbeschluß lautet schlicht: „Der Senat stellt fest, daß die Stellungnahme der Schul
daß die Stellungnahme der Schulreformkommission umgesetzt wird.“ Was auch immer das heißt, vermutlich: die teuren einzügigen gymnasialen Abteilungen werden nicht abgebaut.
Vollends ratlos und auch desorientiert war der Senat offenbar beim Thema „Behindertenfahrdienst“. Unter diesem Stichwort steht im Beschlußprotokoll: „Der Senat bittet den Senator für Gesundheit, Jugend und Soziales, dem Senat die genaue Beschlußlage zum Behindertenfahrdienst darzustellen.“
Ende September, wenn der Senat einen Strich unter die 83 Beschlußvorschläge ziehen und feststellen will, wieviel denn nun wirklich gespart werden soll und kann, wird die Senatorin Gaertner den KollegInnen vielleicht auch berichten können, was sie bisher zum Thema Behindertenfahrdienst beschlossen haben. K. W.
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