: Verkauft, verprügelt und sexuell mißbraucht
■ 8. Internationaler Kinderschutzkongreß in Hamburg sucht nach Wegen aus der Gewalt / Gefordert wird: „Hilfe statt Strafe“ und Züchtigungsverbot im Bürgerlichen Gesetzbuch / Eine neue UN-Kinderkonvention schreibt Mindestansprüche fest
Aus Hamburg Lisa Schönemann
Kinderschutzfachleute aus aller Kinder Länder sind zur selbstkritischen Diskussion über den bisherigen Erfolg ihrer Arbeit angetreten: Der 8. Weltkongreß über Kindesmißhandlung und Vernachlässigung, der bis Donnerstag in Hamburg stattfindet, will die grundlegenden Widersprüche heutiger Kinderschutzsysteme untersuchen.
Hilfe
statt Strafe
Im Mittelpunkt steht dabei die nachdrückliche Forderung nach „Hilfe statt Strafe“, eine Umorientierung in der Kinder- und Familienarbeit, wie sie in der Bundesrepublik zum Teil schon praktiziert werden. Eltern in prekären sozialen Lebensverhältnissen soll es leichter gemacht werden, über Kindesmißhandlung zu reden. Die mangelhafte Betreuung gefährdeter Familien soll stärker in den Vordergrund gerückt werden, so der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutzzentren, Pieter Hutz.
Die vielen Themen, mit denen sich die rund 2.000 SozialarbeiterInnen, PädagogInnen und JuristInnen aus 61 Ländern beschäftigen, reicht von der Prävention von Kindesmißhandlung und Vernachlässigung über Kriegsfolgen für Jugendliche bis zu der Frage, warum die Hilfen von den betroffenen Eltern oft nur unzureichend angenommen werden.
Etwa drei Prozent aller
Minderjährigen werden mißhandelt
Kongreßpräsident Reinhart Wolff umriß zu Beginn den Hintergrund der Veranstaltung: „Kinder graben in Müllbergen nach Nahrungsresten, sie werden in Steinbrüchen, Hinterhöfen und Kellerlöchern zur Arbeit gepreßt. Sie werden verkauft und zur Prostitution gezwungen, zu Kindersoldaten gemacht, geprügelt, herabgesetzt, verführt und sexuell mißbraucht.“
Auf eine wenig verläßliche Zahlenakrobatik über das Ausmaß des Kinderunglücks wollen die TeilnehmerInnen zwar weitgehend verzichten. Dennoch kann davon ausgegangen werden, daß etwa drei Prozent aller Minderjährigen mißhandelt, vernachlässigt oder mißbraucht werden.
Um eine Diskussion über die Akzeptanz familiärer Gewalt in der Bundesrepublik in Gang zu bringen, plädieren die KinderschutzexpertInnen für ein Züchtigungsverbot im Bürgerlichen Gesetzbuch - nach schwedischem Vorbild: „Kinder sind gewaltfrei zu erziehen. Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperlich oder seelisch verletzende Sanktionen, sind unzulässig“, heißt es in einem Vorschlag der Bundestags-Kinderkommission. Flankierende Maßnahmen wie das Recht auf einen Kindergartenplatz sind nicht in Sicht.
UN-Konvention: Kinder können ab 15 in Armee
Eine gerade in Kraft getretene UN-Kinderrechtskonvention regelt in 54 Artikeln die minimalen Ansprüche wie das Recht auf einen Namen, ärztliche Versorgung, Erziehung, aber auch die Rechte, geschützt zu werden vor wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung. In Artikel 38 der neuen Konvention steht aber auch, daß Kinder ab 15 Jahren für die Armee rekrutiert werden können. Inwiefern Minderjährige von der neuen Charta tatsächlich profitieren, wird nicht nur in den 29 Unterzeichner-Staaten aufmerksam beobachtet werden müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen