: Verhaßte Rama-Familie
■ betr.: „United Colours of Aids“, taz vom 8.11.93
Sehr viele Positive und Aidskranke können die (negative) Aufregung um die Benetton-Reklame nicht nachvollziehen. Dies mußte auch taz-Redakteurin Michaela Schießl auf einer Diskussionsveranstaltung nachvollziehen. Anstatt sich inhaltlich mit den Argumenten derer auseinanderzusetzen, die den Diskurs über Aids durch die Reklame angeregt sehen, stigmatisiert sie die Betroffenen erneut: Sie seien schwach, schaffen es nicht (mehr), ihre Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen und benötigen Teufelszeug wie Werbung, um politisch zu bestehen.
Zunächst einmal: Die Aids-Bewegung ist nicht schwach. Sie ist zu den sozialen Bewegungen zu rechnen, die es erfolgreich verstanden haben, ein Netz politischer und sozialer Art aufzubauen, das nach wie vor funktionsfähig ist. Und ganz nebenbei schaffte sie es, Prostitution, Homosexualität und Drogengebrauch sowie das Sprechen über Sexualität ein großes Stück weit gesellschaftsfähiger zu machen als in den Zeiten vor Aids.
Jede Werbung bezieht sich auf gesellschaftliche Phänomene. Sie muß an sie anknüpfen, zwangsweise. Bei der Diskussion um die Benetton-Werbung muß zwischen zwei Aspekten unterschieden werden. Zum einen, daß Werbung mit diesen Phänomenen arbeitet, daß sie auch produktfremde Inhalte nutzt, um ihr Produkt anzupreisen. Das ist sicher verwerflich, bezieht sich aber auf jegliche Reklame. Wird speziell, wie in diesem Artikel, die Benetton-Reklame kritisiert, heißt das also, sie arbeite in schlimmerem Maße als andere Werbung mit diesen Inhalten. Die Folgerung: Die Bestätigung, die Chauvinisten aus frauenfeindlicher Werbung ziehen, die konservative Idylle-FanatikerInnen aus der Rama-Familie ableiten können, der ganze Heile-und-reiche- Welt-Nimbus ist nicht so schlimm! Aber sobald die angekratzte Realität – die Stigmatisierung Positiver und Aidskranker ist Realität – in der Werbung abgebildet wird, ist das damit verbundene Geldverdienen dreckig!? Mir ist die Rama-Familie allemal verhaßter. Wer speziell die Benetton-Reklame kritisiert, sollte sich überlegen, auf welche Seite sie sich damit stellt. Michael Sartorius, Oldenburg
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