ADRIENNE WOLTERSDORF über OVERSEAS : Vergnügen im Park
Themenparks im Vergleich: Wie Deutschland, Frankreich und die USA ihre Gäste unterhalten
Mein diesjähriger Urlaub bescherte mir Besuche in der Autostadt Wolfsburg, im französischen Zukunftspark Futuroscope bei Poitiers und im Disneyland in Orlando, Florida. Während wir in Wolfsburg die Wahl zwischen einem gestylten Hamburger- und Currywurst-Restaurant und Edelrestaurationen hatten, war das Angebot in Poitiers, wo die Franzosen die Zukunft illustrieren, in allen Geldbeutelklassen ziemlich erlesen.
Sogar in der Selbstbedienungsrestauration gab’s ein vollständiges Menue mit Paprika-Gaspacho und kleinen Cremeschnittchen, die die Architektur des Parkes darstellen. Alles auf geschmackvollen Terrassen einzunehmen. In Orlando stehen die Leute von früh bis spät mampfend und schlürfend in der Schlange, die Pommesportionen sind allgegenwärtig und Süßes und Klebriges hinter jeder Ecke zu kaufen. Während in Europa die Familien Wasserflaschen dabeihaben, schieben die Mütter und Väter in Disneyland Kinderwagen vor sich her, in deren angeschweißten Getränkehaltern riesige Cola- und Limo-Eimer schaukeln, an denen fleißig genuckelt wird. Das hat wohl unweigerlich zur Folge, dass die Sitzbänke in den Geisterbahnen und Vergnügungsvehikeln in Florida mindestens zwei Handbreit breiter sind, damit auch diejenigen hineinpassen, die schon viele diese Limoeimer leergesüffelt haben.
Während wir uns in Disneyland hemmungslos dem Nervenkitzel in den Hightech-Geisterbahnen und Höllengerätschaften hingeben durften, mussten wir in Wolfsburg vor allem was lernen. Wir wurden über die Geschichte des Automobils unterrichtet, an echten Exponaten, kein Plastik, bitte nicht anfassen. Wir sollten zudem spielerisch physikalische Experimente nachbauen und am Computer selbst ein Autowerk managen, wohl damit wir erkennen, wie schwer das in Wirklichkeit ist. Mitmachspaß gab’s im Bio-Labor, wo wir per Computer einen Rapssamen setzen durften.
In Poitiers geht es vor allem darum, zu zeigen, welche Zukunftskraft in der französischen Architektur steckt. Es gibt tolle 180-Grad-Kinos, auf denen man beim Vogelflug und bei der Walwanderung dabei sein kann, dazu rütteln und wackeln die Sitze, als wäre man in freier Natur. Es fallen en passant so böse Worte wie Klimakatastrophe und Müllberge, aber eigentlich geht es darum, wie abenteuerlustig französische Filmemacher sind, wenn sie ihr Land verlassen.
Bei Walt Disney ist die Welt, wie wir sie uns alle erträumen, üppig und prall, bevölkert von sprechenden Tieren. Die teuer zahlenden Gäste will man nicht mit dem Werden und Vergehen der Natur da draußen behelligen. Gärtner rupfen jede Nacht hässlich gewordene Blumen und Sträucher aus und pflanzen identische neue, damit am nächsten Tag wieder alles üppig blüht. An jeder Ecke kommt eine Minniemaus, ein Goofy oder andere Kreationen im Kostüm daher und sorgen für pausenloses Entertainment. In Wolfsburgs endlosen Rasenlandschaften und gestalteten Blumenbeeten blieben wir uns und der Autowelt selbst überlassen, in Poitiers dudelten Rasenlautsprecher Samba und Rumba und Schilder verwiesen in jeder Himmelsrichtung auf Restaurants. Als vor uns in der Schlange in Orlando eine ältere Dame vor lauter Hitze plötzlich einen Schwächeanfall erlitt, sprangen hinter der nächsten Ecke sofort drei Sanitäter hervor und wenige Sekunden später lag die Dame auf einer Bahre und wurde in eine hinter Hecken kaschierte Hightech- Krankenstation getragen. Denn wenn der Amerikaner eines nicht will, dann ist es Risiko beim Freizeitvergnügen. Wenn er auch sonst im Leben ohne Krankenversicherung lebt und täglich gefeuert werden kann, im Freizeitpark duldet er keine Ungewissheiten. Eine Szenen wie im Futuroscope wäre gleich Grund zur Klage gewesen: Dort suchten die französischen Eltern eines Kindes, das sich an einem Boot das Knie aufgeschlagen hatte, erst den nächsten Kiosk, dort wurde telefoniert, erst eine Viertelstunde später kommt ein Sanitäter an. Es ist gerade Mittagszeit, kein Grund zur Panik, Mesieursdames, herrje, es ist doch nur ein Wehwehchen.
ADRIENNE WOLTERSDORF
OVERSEASFragen zum Vergügen? kolumne@taz.de MORGEN: Corinna Stegemann erzählt MÄRCHEN