piwik no script img

Vergessenes Kita-Millionenloch

■ Senatorin Raab stellt 42,5 Millionen Mark Nachforderungen: Kita-Defizit aus 1995 verschlampt / „Sieht nach grober Fahrlässigkeit aus“ Von Silke Mertins

Die Rechenkünste in höherer Mathematik sind nicht jedem gegeben. Die Hamburger Schulbehörde ist mit Nachforderungen von 42,5 Millionen Mark für den Etat 1996 an den Haushaltsloch-Verwalter Ortwin Runde herangetreten. Eigentlich beträgt das Defizit im Bereich der Kindertagesstätten 48 Millionen, doch, so Schulbehördensprecherin Anita Merkt, „sechs Millionen werden erst für 1997 kassenwirksam“.

Der finanzpolitische Skandal liegt im Detail: Die rund 43 Millionen stammen zum größten Teil aus den Vorjahren, das Defizit hat sich seit Ende 1994 akkumuliert. Nur 14 Millionen Miese, so Merkt, sind in diesem Jahr entstanden. „Eigentlich hätte schon 1995 nachgefordert werden müssen“, das Defizit sei jedoch nicht frühzeitig erkannt worden. Denn als einen Grund für das Millionenloch nennt die Behörde die geringeren Elternbeiträge, die wegen gesunkener Realeinkommen niedriger ausfielen als veranschlagt. Das sind 14 Millionen, die „nicht zu kalkulieren“ waren.

Der zweite Grund nach Behördenlesart: Die verspätete Wirksamkeit des „Teilnahmeleistungsgesetzes“. Dieses trat erst zum Jahresanfang 1995 in Kraft, später als von der Behörde erwartet. Zunächst hatte man deshalb Abschlagszahlungen an die Träger bezahlt. Die waren aber zu niedrig. Die Folge: kräftige Nachzahlungen wurden fällig. Wegen des Kita-Ausbauprogramms kam es in der Behörde aus Personalmangel zu einem „Bearbeitungsrückstand“: Erst bei dessen Aufarbeitung sei die Finanzmisere in vollem Umfang klargeworden. Dennoch wurden die nachzuzahlenden 35 Millionen im Vorjahr nicht nachgefordert.

„Es ist völlig indiskutabel, Versäumnisse dieser Art mit Personalmangel zu erklären“, befindet Wakter Zuckerer (SPD), Vorsitzender des Haushaltsausschusses: „Der Vorgang löst ziemlich viel Ärger aus.“ Die Erklärung der Schulbehörde werfe mehr Fragen auf, als daß sie kläre, wie die Fehlberechnung zustande kam. „Das sieht nach grober Fahrlässigkeit aus.“

Von massiven „Planungs- und Steuerungsfehlern“ spricht GAL-Finanzexperte Willfried Maier. Kita-Plätze seien keine unkalkulierbaren Fallzahlen wie etwa Flüchtlingszuwanderung oder Sozialhilfezuwachs. Wenn die Behörde mit den Trägern Verpflichtungen eingegangen sei, „die im Haushalt nicht auftauchen, dann ist das eine Verletzung des Haushaltsrechts“.

„Kein Einzelfall“ winkt der finanzpolitische Sprecher der CDU, Ralf Mairose ab. Schon gewohnheitsmäßig veranschlagen die Behörden niedrigere Kosten, um Sparquoten zu erfüllen. Anschließend wird wegen „unvorhersehbarer“ Ausgaben nachgefordert. „Die Finanzbehörde versäumt es zu prüfen, ob die Sparquoten auch strukturell eingehalten werden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen