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Vergangenheit im Keller

■ Eine Iranerin verschaffte sich Zugang zu ihren Verfassungsschutzakten und staunte über deutsche Bürokraten-Gründlichkeit

West-Berlin. Egal ob Stasi oder Verfassungsschutz - das Interesse an der eigenen Akte hat unter West- wie OstberlinerInnen in der letzten Zeit spürbar zugenommen. Doch während die BürgerInnen aus der Hauptstadt in den turbulenteren Tagen der Revolution eben mal selbst in den Tempel der Staatssicherheit hineinspazierten und nach ihren Akten suchten, geht man im Westteil der Stadt sehr viel zurückhaltender vor. Hier schreibt der Interessierte ein Kärtchen an den Verfassungsschutz (VS), bittet um Akteneinsicht - und übt sich in Geduld. Nasrin B., Iranerin, die - mit Unterbrechungen - seit 1971 in West-Berlin lebt, schickte am 27. Juli 1989 solch ein „Auskunftsersuchen“ an den VS. Am 3. April 1990 öffneten sich die Tore des Landesamtes - genauer gesagt: eine Kellertür.

Es bot sich ein eher lächerlicher Anblick. Im Raum ein Tisch, darauf ein magerer Aktenordner, flankiert von zwei freundlichen Herren - beide betont gleichmütig, als handele es sich um eine Fahrkartenreservierung. Einige Blätter könne man leider nicht freigeben, bedauern die Herren, andernfalls sei die Anonymität der Informanten nicht mehr gewährleistet.

Die erste Eintragung läßt schon fast verblaßte Erinnerungen aufkommen: Am 30.11.1974, steht da fein säuberlich, ist sie im Reisebus nach West-Deutschland gefahren, um dort gegen den Schah zu demonstrieren. Ende der siebziger Jahre dann Sendepause: Nasrin B. war nach dem Sturz des Schah 1979 in den Iran zurückgekehrt - und flüchtete Ende 1983 aus politischen Gründen wieder nach Berlin.

Prompt erwachte der Verfolgungstrieb der Beschatter. Besuch einer Veranstaltung der iranischen Volksmudjahedin. Teilnahme an einer Demonstration anläßlich des Todes von Kemal Altun. Teilnahme an einer Veranstaltung der Evangelischen Studentengemeinde zum Thema „Islam und Politik“. Der aufmerksame Verfassungsschützer scheute in diesem Fall keine Anstrengung und protokollierte ausführlichst sämtliche Redebeiträge und Publikumsreaktionen. Zwischen Kopien von Interviews, die B. zur Menschenrechtssituation im Iran gegeben hat, finden sich Daten über ihre Mitarbeit bei der Conföderation Iranische Studenten - Nationale Union (CISNU) und im Verein iranischer Flüchtlinge, immerhin eine von der Ausländerbeauftragten unterstützte Organisation. In ihrer Akte: Namen, Adressen und Funktionen der Vereinsmitglieder, darunter ein Mitglied, das bereits vor Jahren verstorben ist, beim VS aber offensichtlich überlebt hat.

Das Landesamt für Verfassungsschutz bat nunmehr - nach sechzehn Jahren Beschattung - um Einverständis, Daten und Unterlagen zu löschen: „Eine aufgrund Ihrer Anfrage veranlaßte Prüfung der vorliegenden Informationen hat ergeben, daß ihre Daten für unsere Aufgabenerfüllung nicht erforderlich sind.“

anb

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