piwik no script img

Verführung inklusive

■ Glück oder Seife - eine Münzautomatenausstellung im Friedrichstadtpalast

Nein, die Ausstellung habe er noch nicht gesehen, er sei gerade erst gekommen, sagte mir ein Fünfzigjähriger, der todesmutig seine Runden auf dem Motorradsimulator dreht. „Chrash“, meine Fragen stören. Eine Familie aus Leipzig probiert sich am Video-Fußballspiel-Gerät. Es mache schon Spaß, aber man verstehe die Bedienung noch nicht genau, Videospiele sind neu in der DDR, lediglich in Hotels oder im FDGB-Ferienheim waren Spielgeräte aufgestellt. Am Flipper steht ein Wessi-Kid, das die Ausstellung auch noch nicht gesehen hat. Freunde haben ihm erzählt, daß man hier in dem spielhallenähnlichen Ausstellungsraum umsonst spielen kann, der Lärmpegel ist hoch, der Raum gut gefüllt.

Auf dem Rückweg kommt man an einer Abteilung vorbei, die im Katalog als Fachabteilung ausgewiesen ist. Die Herstellerfirmen präsentieren ihre neuesten Spielgeräte, vornehmlich Gewinnspielautomaten, die auf Dauerbetrieb eingestellt sind. Man muß kein Geld einwerfen, kann aber auch nicht gewinnen, nur so tun als ob. Dieser Ausstellungsteil ist eine Art Gerätemesse für den neu zu erschließenden Absatzmarkt DDR. Anfixen, habe ich mir erzählen lassen, nennt man so etwas in einer ähnlichen Branche. Die Ausstellung ist eine Gemeinschaftsproduktion des Staatszirkus der DDR, des Friedrichstadtpalastes und der Informationsgemeinschaft Münz-Spiel (IMS), die so eine Art Sozialverträglichkeits- und Werbe-GmbH für die kritikanfällige Automatenindustrie ist.

Ich habe verkehrt herum angefangen. Ich hätte erzählen müssen von den wunderschönen „Stollwerck„-Warenautomaten, die schon um die Jahrhundertwende jugendstilverziert für einen Groschen feinste Schokolade lieferten. Als kulturbeflissenem Menschen gefällt ei nem auch der „Reclam„-Automat mit Taschenbüchern. „Zugring langsam ganz herausziehen, bis das Buch fällt.“ Der diskrete Charm der Warenästhetik feiert ein kleines Fest, und sofort leuchtet ein, daß Spielen, auch an Automaten, seit jeher zu den Grundbedürfnissen des Menschen gehört, wie der Katalog schlau zu berichten weiß. Ja, der Bajazzo, das ist der Vorläufer der Daddel kiste. Ein Clown mit einem Hut in der Hand muß versuchen, eine Kugel aufzufangen, dann gibt es einen Geldgewinn. Der Bajazzo war ein beliebtes Geschicklichkeitsspiel und soll deshalb auch zum Logo einer Spielautomatenfirma werden, die gerade dabei ist, ein eigenes Museum, bestehend aus solchen Schmuckstücken, einzurichten. Wie gesagt, ich habe verkehrt herum angefangen. Am Ausgang frage ich die Kassiererin, wie die Ausstellung besucht sei. „Schlecht“, sagt sie, „vielleicht liegt's am Eintritt von 3 DM.“ Zuwenig Werbung sei auch gemacht worden, nur ein kleines Plakat mit einem Pfeil drauf. Wenn man aber drinnen ist, sieht man sofort, wo es lang geht.

tt

Für 'n Groschen Glück und Seife . Alte Münzautomaten. Friedrichstadtpalast, Friedrichstraße, Berlin 1040 bis 20. August. Katalog 8 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen