: Verfassung entzweit Magistrat
■ CDU hat Bedenken gegen den Verfassungsentwurf / Kritikpunkte: Rede- und Antragsrecht von Bürgerinitiativen und Volksbegehren / CDU gegen Vorreiterrolle von einem Land Ost-Berlin / SPD für Festschreibung des Ausländerwahlrechts
Ost-Berlin. Zwischen den Ostberliner Regierungsparteien CDU und SPD ist der erste größere Koalitionsstreit ausgebrochen. Der Chef der Ost-CDU, Dr. Eberhard Engler, hatte vor der Stadtverordnetenversammlung am Mittwoch abend erklärt, daß seine Fraktion dem Verfassungsentwurf des Ausschusses Einheit und Verfassung Berlins „in dieser Form“ nicht zustimmen könne. Der Entwurf war zuvor von christdemokratischen Mitgliedern des Ausschusses gebilligt worden.
Die größten Bauchschmerzen hatte der Konservative mit der Festschreibung basisdemokratischer Elemente in der neuen Verfassung Ost-Berlins. Der Entwurf des Ausschusses sieht vor, daß Bürgerinitiativen Rede- und Antragsrecht bei allen Ausschüssen der Stadtbezirks- und der Stadtverordnetenversammlung erhalten sollen. Darüber hinaus sollen Volksbegehren möglich sein, wenn jene durch zehn Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung unterstützt werden. Die Sozialdemokraten interpretieren den entsprechenden Passus der Verfassung sogar so, daß durch Volksabstimmungen Gesetze initiiert werden können. Die jetzt umstrittenen Passagen der neuen Verfassung sind zum größten Teil aber in den Koalitionsvereinbarungen festgeschrieben - falls die CDU weiter auf der Streichung wichtiger Aussagen bestehen sollte, sind viele Sozialdemokraten bereit, „hier die Koalitionsfrage zu stellen“.
Der Sprecher der CDU-Fraktion, Hennig, begründete gestern gegenüber der taz die Ablehnung des Antrags- und Rederechts von Bürgerinitiativen unter anderem damit, daß sich „die PDS in vielen Initiativen festgesetzt“ habe. Die CDU hat ebenfalls Bedenken, daß Ost-Berlin - wenn die Verfassung in der kommenden Woche vom Parlament beschlossen werden sollte
-eine Vorreiterrolle spielt. Während die Christdemokraten davon ausgehen, daß die Verfassung erst mit der Beschließung des Ländereinführungsgesetzes durch die Volkskammer in Kraft treten könne, interpretieren die Sozialdemokraten die im Mai beschlossene Kommunalverfassung so, daß Berlin „bereits ein Land ist“. Herbst setzte mit der CDU noch für denselben Abend eine Krisensitzung an. Ergebnis: Die CDU soll den Sozialdemokraten nun eine Dissensliste vorlegen, die dann abgearbeitet werden soll. In einer Presseerklärung bekräftigten die Sozialdemokraten noch einmal ihre Haltung. Die SPD-Fraktion stünde auch dann hinter der Verabschiedung einer Verfassung, „selbst wenn sie nur fünf Tage lang gültig sein sollte“. Es sei eine Notwendigkeit, das Selbstverständnis der Revolution materiell auszugestalten, um es in den Vereinigungsprozeß der beiden Stadthälften Berlins konstruktiv einbringen zu können. Herbst zur taz: „Mit unserer Verfassung muß man sich im Einigungsprozeß auseinandersetzen.“ Die SPD tritt für ein kommunales Ausländerwahlrecht ein, daß in der Ost-Verfassung ebenso festgeschrieben sein soll wie das Recht auf „angemessenen Wohnraum“, das Recht auf Arbeit und das Recht der Frauen auf „selbstbestimmte Schwangerschaft“.
Die geplante Verfassung gehe gerade in Formen der Bürgerbeteiligung teilweise über die Verfassung von West -Berlin hinaus, heißt es weiter in der Erklärung. Daß haben die Christdemokraten während der Koalitionsverhandlungen offenbar vergessen. Bevor Engler seine Rede hielt, war einer im Roten Rathaus, der mit seinen Ostkollegen offenbar Tacheles geredet hat. Sein Name: Eberhard Diepgen.
ccm
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