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Vereinigung, Designergeschick

Zur Ausstellung des New Yorker Concept-Künstlers David Robbins in Köln  ■ Von Dieter Wellershoff

In der Galerie Nagel ist bis zum 9.November eine Ausstellung des New Yorker Concept-Künstlers David Robbins zu sehen, deren zwölf Exponate (Objekte, Entwürfe, Inschriften) sich auf ein gemeinsames Thema beziehen: die deutsche Wiedervereinigung. David Robbins, 1957 in Wisconsin geboren, hat in den letzten fünf oder sechs Jahren vierzehn Einzelausstellungen gehabt und ist an einer großen Zahl von Sammelausstellungen beteiligt gewesen. Wenn man die von ihm produzierten Videos hinzuzählt und seine Vorlesungen und Veröffentlichungen, dann fügt sich das zu einem Bild schnell wachsender Prominenz zusammen: one of the big shooters der New Yorker Szene, inzwischen längst weit herumgereicht im Kommunikations- und Handelsnetz der europäischen Galerien.

Ich habe mir sagen lassen, Robbins verstünde sich nicht als politischer Künstler, was beim Thema der Kölner Ausstellung zu vermuten wäre. Das glaube ich im Grunde gern, denn er hat das Thema, das ja weitreichende politische und historische Dimensionen hat, nur auf ein paar Reizworte hin abgesucht, eine Art Small talk in zitierten kritischen Gesten und Klischees, fern von der Erfahrung der betroffenen und beteiligten Menschen. Aber das ist David Robbins nicht ohne Einschränkung persönlich anzulasten, denn in seiner geläufigen, sprunghaften Art, mit dem Thema umzugehen, spiegelt sich die Abgehobenheit und Realitätsferne des Kunstbetriebs, der längst nur noch ein auf sich selbst bezogenes System ist, das massenhaft Zeichen produziert, denen nichts Bezeichnendes mehr gegenübersteht.

Es hat in diesem Jahrhundert zwei große Paradigmenwechsel in der Kunst gegeben. Der erste war die Lösung vom Gegenstand, also der sichtbaren und auch der vorgestellten, geträumten Welt, die uns in den Bildern der Kunst in immer neuen Ausprägungen vor Augen trat. In der gegenstandslosen Kunst wurde das Medium selbst entdeckt. Sie war die Sprache und die Sache in einem: Farben und Formen von sich selbst sprechend in ihrem ausdrucksvollen Spiel. Der zweite Paradigmenwechsel war der Abschied der Künstler von der Gestaltung. Duchamp hat diese Grenze als erster überschritten, als er einen gewöhnlichen Flaschentrockner als plastisches Objekt in eine Ausstellung stellte. An die Stelle der Gestaltung von optischen Erfahrungen oder inneren Bildern oder auch von medialem Material trat die visuelle Inszenierung von Fundstücken, die demonstrative Geste, der Schnappschuß. Die Entstehung von Kunst war nicht mehr an die traditionellen hochselektiven Bedingungen gebunden, sondern war prinzipiell entgrenzt worden durch die These, daß alles Kunst und jeder Künstler sei. Die Nagelprobe findet nun nicht mehr bei der Arbeit an einem Werk statt, sondern nur noch auf dem Markt.

Die Concept Art institutionalisiert diese neue Lage, insofern sie überhaupt keine Werke mehr herstellt, sondern die Konzepte zu Werken und Inszenierungen an ihre Stelle setzt. In Umkehrung von Goethes Diktum „Bilde Künstler, rede nicht“, das die Kunst als das Medium der sinnlichen Erfahrung beschrieb, haben wir es hier mit Leuten zu tun, die nichts mehr bilden, sondern nur noch reden. Ideenmenschen, die ständig Kopfgeburten hervorbringen, die in der Regel unerprobt bleiben, da ihre Verkörperung so banal wäre und so wenig neue Erkenntnisse brächte wie das Abziehen einer Matrize. Die Objekte, an denen sich die Konzepte festmachen, sind ästhetisch gesehen belanglos. Oder was ist, um Beispiele aus der Kölner Ausstellung zu nennen, an einem simplen Sperrholzkästchen in der Form einer Wahlurne, an einem Aluminiumblech, das zur Hälfte spiegelblank poliert und zur Hälfte matt und undurchsichtig ist, ästhetisch bemerkenswert, und wo liegt der Reiz bei einer Seite Schreibmaschinenschrift mit vielen (künstlichen) Tippfehlern und handschriftlichen Korrekturen? Auch ein spielzeugartiges Objekt, das gewiß schwieriger herzustellen war, ein Gießharzbrocken in der Form des wiedervereinigten Deutschlands mit einem eingeschlossenen grünen Papagei und winzigen Spielzeugmännern, die den Gletscherbrocken mit Klettergeräten erstiegen haben und dabei gefilmt werden, bietet ästhetisch gesehen nicht viel anderes als die Phantasielandschaften und Modelleisenbahnen. Aber es handelt sich hier um eine Anspielung auf einen Horrorfilm, produziert von Howard Hawks, der davon handelte, wie Polarforscher ein im Eis eingefrorenes Monster entdecken und unglücklicherweise freisetzen. Im Umweg über den Film, auf den es anspielt, wird das Objekt lesbar: Auch im wiedervereinigten Deutschland könnte ein Monster eingefroren sein. Allerdings sieht der grüne Papagei, der in der Tiefe des Gletschers schimmert, eher freundlich aus.

David Robbins hat seiner Ausstellung einen fiktiven Rahmen gegeben. Man soll sie sehen als eine Ansammlung von Modellen bei einem Wettbewerb für Skulptur im öffentlichen Raum anläßlich der deutschen Wiedervereinigung. Die Besucher der Ausstellung bekommen dabei die Rolle der Jury, denn sie können durch ihr Votum darüber bestimmen, welches der Konzepte verwirklicht werden soll. Das Remake einer Szene des alten Films von Howard Hawks stellt sich Robbins als vollklimatisiertes Bühnenbild in Eis und Schnee mit echten Schauspielern vor, als etwas also, das dauerhaft nicht zu machen ist. Das Aluminiumblech, halb blank, halb matt, soll in einer Auflage von einer Million Exemplaren hergestellt und an öffentlichen Orten in ganz Deutschland jeweils in Augenhöhe angebracht werden. Vielleicht um daran zu erinnern, daß es auch im vereinigten Deutschland noch eine polierte und eine matte, undurchsichtige Hälfte gibt. Das ist im übrigen nur meine Auslegung. Da das Objekt I.D. Check heißt, ist sie vielleicht nicht beabsichtigt, und es geht hier vielmehr um Selbsterkenntnis. Ein Fernsehkanal, der rund um die Uhr Röntgenbilder von Gepäckdurchleuchtungen sendet, scheint mir eher auf Terrorismus und Überwachungsstaat hinzuweisen als auf die Wiedervereinigung. Ich würde dieses Objekt nicht zur Installation vorschlagen, denn es ist ermüdend anzusehen und bringt auf die Dauer keinen weiteren geistigen Gewinn.

Aber es sollen eben alles Denkanstöße zum Problemfeld deutsche Wiedervereinigung sein. Und daran muß man die Objekte messen. Da ist zum Beispiel das Graffito 1 + 1 = 1, das laut Robbins Vorschlag überall in Deutschland an die Wände geschrieben werden soll. Es liest sich so, als wäre die staatliche Einheit Deutschlands ein Vorstoß gegen die mathematische Logik. Doch liegt der Fehler dieser kritischen Beweisführung darin, daß es sich bei der Vereinigung nicht um eine Addition fester, unveränderlicher Größen handelt, sondern um tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungs- und Angleichungsprozesse, die mit einer solchen Formel nicht zu beschreiben sind.

Was also mache ich mit Denkanstößen, die im Ansatz falsch sind? Die Ausstellung setzt mich nicht unter Druck, ich brauche ja nicht zuzustimmen, daß sie verwirklicht werden. Da ist jetzt aber dieses hölzerne Kästchen, die Wahlurne. Wie ich an dem roten Punkt in der Preisliste

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sehe, ist sie für 4.000 DM verkauft. Ein ästhetisch ebenbürtiges Objekt könnte man sicher auch für 10 DM bekommen. Was ist also das Besondere daran? Wiederum der Denkanstoß, die Tatsache nämlich, daß der Einwurfschlitz für den Wahlzettel geschlossen ist, das soll mich darauf hinweisen, daß „keine Abstimmung stattfand, um über die Wiedervereinigung zu entscheiden“. Ist das ein so bedeutender Erkenntnisstand? Ich zum Beispiel wäre bereit, für sagen wir zehn Prozent des Honorars etwas Differenzierteres darüber zu sagen, zum Beispiel über das Verhältnis zwischen einer Revolution und der Abstimmung darüber, ob man die Revolution machen will, einer Abstimmung, an der auch die alten Unterdrücker (Stasi, Vopo und SED) beteiligt gewesen wären. Es hat die Abstimmung der Massenflucht und der Massendemonstrationen gegeben und den allgemeinen Jubel bei der Öffnung der Mauer. Und dann auch die Volkskammerwahl und danach die parallele Abstimmung der neu gewählten Volkskammer und des Bundestags, die staatliche Einheit Deutschlands herzustellen, was laut Grundgesetz ohnehin Ziel der deutschen Politik war. Und schließlich hat auch die Wirklichkeit auf allen Ebenen ihre Stimme über die DDR abgegeben, denn sie war auf allen Ebenen bankrott.

Also wähle ich auch dieses Objekt nicht, denn es hat etwas Irreführendes und kehrt einen Formalismus hervor, der fern von der geschichtlichen Substanz des Geschehens und fern von der Erfahrung der Menschen ist.

Mit zwei anderen Vorschlägen habe ich allerdings ernste Schwierigkeiten. Sie sind schlechtweg inhumane Geschmacklosigkeiten, um es gelinde zu formulieren. Das eine ist der Vorschlag, die Deutschen auf der rechten oberen Schulter und auf der Stirn mit dem Signet der Deutschen Bank zu tätowieren. Der andere Vorschlag nennt sich Deutsches Nationalmuseum, ein Vorhaben, das wie folgt beschrieben ist: „Umsiedlung und Verteilung der gesamten deutschen Bevölkerung in andere Länder, Errichtung einer sechs Meter hohen und ein Meter dicken Glasmauer um die Grenzen des dann leeren Landes.“ Im Jahrhundert der Massendeportationen, der Vertreibung ganzer Bevölkerungen und des Flüchtlingselends ist das kein akzeptabler Scherz mehr.

Ich vermute, daß der Künstler, würde er meine Einwände und meinen Ärger vernehmen, selbstzufrieden sagen würde, da habe er doch etwas bewirkt. Das nämlich dürfte sein Problem sein: Diese Kunst der krassen Denkanstöße und schlau erfundenen Provokationen kann mit ihrem Reizlärm zwar schnelle Publizität gewinnen, aber mit der nachhaltigen und tiefgreifenden Wirkung von künstlerischen Werken, die in ihrer ganzen Gestalt der Ausdruck einer persönlichen Erfahrung sind, kann sie sich nicht vergleichen. Man spürt das Designergeschick, das für den Neuigkeitsbedarf der Szene und des Marktes die pfiffigen Inszenierungen erfindet und dabei trotz aller obligatorischen Extravaganzen an der kurzen Leine der herrschenden Moden und Konventionen geht. Es ist Kunst für ein Publikum, das wissen will, was „in“ ist, und damit seine tiefe Selbstentfremdung und Erfahrungsarmut zu übertünchen versucht. Man sieht nirgendwo so leere und zerstreute Gesichter wie in Kunstausstellungen. Die Leute gehen wie im Halbschlaf an den Exponaten vorbei, lesen die Beschriftungen und verschwinden wieder nach kürzester Zeit, als hätten sie alles zur Kenntnis genommen, ohne etwas zu erfahren, und wüßten nun nicht einmal mehr, was ihnen fehlt.

The Reunification Public Sculpture Competition . Galerie Nagel, Brabanter Straße 49, Köln. Noch: heute von 11 bis 14 und von 15 bis 18.30 Uhr, morgen 11 bis 15 Uhr

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