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Verbot für NPD-kritischen WissenschaftlerAfD-Richter verfügt Maulkorb

Nach Analyse der NPD-Strategie: Der Politologe Steffen Kailitz wird von einem Richter zurechtgewiesen, der Mitglied der AfD ist.

Unwissenschaftliche Kritik muss nicht immer falsch sein Foto: dpa

Berlin taz | Engagiert argumentierte er vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe für das Verbot der rechtsextremen NPD: Steffen Kailitz, Politikprofessor am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden, war dort als Sachverständiger geladen. Jetzt hat die NPD einen kleinen Etappensieg gegen Kailitz davon getragen.

Das Landgericht Dresden hat dem Wissenschaftler auf Antrag der rechtsextremen Partei untersagt zu behaupten, die NPD plane „rassistische Staatsverbrechen“ und wolle „acht bis elf Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben, darunter mehrere Millionen deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund“.

Das hatte Kailitz aus den NPD-Programmen abgeleitet und in einem Beitrag für Zeit Online unter dem Titel „Ausgrenzen, bitte“ geschrieben. Angehört wurde Kailitz vor dem Dresdner Landgericht nicht. Die NPD frohlockte umgehend in einer Presseerklärung, Kailitz sei „in die Schranken verwiesen“ worden.

Kailitz darf nun auf seine Erkenntnisse, die er seit mehren Jahren in zahlreichen Veröffentlichungen publiziert hat, nicht mehr verweisen. „Aus meiner Sicht ist das ein Justizskandal“, sagte Kailitz der taz. Der Beschluss sei ein „frontaler Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit, den ich mir in Deutschland so bislang nicht vorstellen konnte“.

Brisant: Den Beschluss, dem Antrag auf einstweilige Verfügung stattzugeben, hat Jens Maier gefällt. Maier ist nicht nur Richter am Landgericht, er ist auch Mitglied der sächsischen AfD und sitzt im Schiedsgericht des sächsischen Landesverbands. Das Gleiche gilt auch für Stefan Dreher, wie Maier Richter am Landgericht. Maier, ehemaliger Sozialdemokrat, kandidierte 2014 erfolglos auf der Liste der Rechtspopulisten für den Dresdner Stadtrat.

„Leichter Propagandacoup“

Kerstin Köditz, Rechtsextremismusexpertin der sächsischen Linken, hält das für ein Problem: „Der Verdacht der Befangenheit liegt nahe, wenn man berücksichtigt, dass der betreffende Richter Funktionär der AfD ist und auch die AfD letztlich Abschiebungen will.“ Hier sei der NPD „ein leichter Propagandacoup“ geschenkt worden. „Das ist einer unabhängigen Justiz unwürdig, spricht der Wissenschaftsfreiheit Hohn, passt aber zur sächsischen Demokratie“, so Köditz.

Von Befangenheit will Maier selbst nichts wissen. „Ich bin in der NPD sicher nicht beliebt“, sagte der Richter auf Anfrage der taz. Schließlich sei es „eine wichtige Aufgabe des Landesschiedsgerichts, Parteiausschlussverfahren wegen Kontakten zur rechten Szene zu betreiben“. In rund 20 Fällen sei das bislang geschehen.

Kailitz hat inzwischen Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eingelegt. In der mündlichen Verhandlung AM 10. JUNI kann er seine Sicht der Dinge erläutern.

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17 Kommentare

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  • Das Urteil kann ich nicht gutheißen.

     

    Aber wie wollte man solche Fälle wirksam vermeiden? Selbst, wenn man Richtern Parteimitgliedschaften verweigern könnte, könnte man nicht verhindern, dass sie politische Meinungen haben - und solche treiben halt mitunter bedenkliche Blüten.

     

    Immerhin gut zu hören, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

  • Schlimm - hm - Aber mal ne Frage -

    "…Kailitz hat inzwischen Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eingelegt. In der mündlichen Verhandlung AM 10. JUNI kann er seine Sicht der Dinge erläutern."

     

    Wer - bitte - läßt sowas unredigiert durchgehen?! &

    Für die Besorgnis der Befangenheit -

    Ist auch in Sachsen der entsprechende

    Antrag noch nicht abgeschafft!

  • In Sachsen hat seit 1945 leider nie eine Entnazifizierung der Justiz stattgefunden. Das merkt man deutlich.

    • @Dorian Müller:

      ... nicht nur der Justiz ...

  • 4G
    4225 (Profil gelöscht)

    Früher waren die Richter in Sachsen alle in der Partei, in der auch die Rechtsextremismusexpertin der sächsischen Linken war, nämlich in der SED. Das war auch nicht in Ordnung.Da hatte man gar keine Chance auf einen unbefangenen Richter.

  • Eine Einstweilige Verfügung ist, wie der Name sagt, eine einstweilige Angelegenheit. Sie kann ohne Anhörung dessen, zu dem verfügt werden soll, erlassen werden. Auf diese Weise dient sie dem vom Gericht angenommenen notwendigen vorläufigen Rechtsschutz des Antragstellers. Im ordentlichen Verfahren kann das alles ganz anderes aussehen.

  • Dann müssten Parteizugehörigkeiten für Richter allgemein verboten werden. Ansonsten lässt sich eine Parteinahme immer herkonstruieren.

    • @A Bayer:

      Es geht ja hier nicht um eine einfache Mitgliedschaft, sondern um eine exponierte Stellung und Tätigkeit innerhalb der Partei, die von einem Richterspruch mittelbar auch betroffen wäre.

       

      Das ist ein klarer "Interessenkonflikt".

  • Ich frage mich, wieso der Zeitonline Artikel trotz einstweiliger Verfügung glücklicherweise noch vollständig zu lesen ist und wie eine Löschung des Gastbeitrags mit Pressefreiheit überhaupt vereinbar wäre.

  • 3G
    33641 (Profil gelöscht)

    Hier, wie überall: Parteilichkeit und Scheinheiligkeit, die Markenzeichen der Schland-Justiz.

  • Schade. Jetzt hätte doch die taz mal kurz im NPD-Parteiprogramm nachschauen und dem Leser ein Bild davon vermitteln können, was es mit den Behauptungen von Steffen Kailitz auf sich hat. Kailitz selbst bringt in seinem Zeit-Artikel nämlich leider nicht den Originaltext, auf den er sich bezieht. Stehen die Pläne der NPD da wirklich so eindeutig drin oder ist Herrn Kailitz möglicherweise die Auslegung etwas frei geraten?

     

    Das jedenfalls sollte - eigentlich - geklärt werden, bevor die Parteizugehörigkeit des zuständigen Richters in den Vordergrund gerückt und dann gleich noch ein - ebenso an den möglichen Gründen der Entscheidung völlig uninteressierter - O-Ton der zuständigen Linke-Funktionärin nachgeschoben wird, die dann gleich von Befangenheit und Unwürdigkeit erzählt. Es hilft nicht beim Kampf gegen Rechts, wenn man diesen Vorurteilsträgern mit genauso hemmungslosen Vorverurteilungen - bzw. deren überdeutlicher Andeutung - nachstellt.

     

    BTW dürften gerade die Rechtsaußen in der AfD das von Kailitz geforderte NPD-Verbot durchaus unterstützen, stünden sie doch gerne bereit, um etwaige heimatlos gewordene braune Schäfchen einzusammeln und in ihre eigene Machtbasis zu integrieren...

    • @Normalo:

      Würde die NPD wegen dieser Inhalte verboten, hätte die AfD ebenfalls keine Existenzberechtigung mehr. Dieses zu verhindern, könnte also Teil der Strategie der AfD (und des zugehörigen Richters) sein.

       

      Die Verbrechen und Gräuel der NSDAP werden auch nicht im Wortlaut in deren Parteiprogramm fixiert worden sein. Texte auf eine abstrakte Ebene zu befördern, um die praktische Bedeutung inhaltlicher Aussagen verständlich zu machen, ist eine so übliche und banale Vorgehensweise und Transferleistung (sozial-)wissenschaftlicher Arbeit, wie die Kritik daran bildungsfern und ideologisch vorbelastet ist.

      • @cursed with a brain:

        Die AfD erscheint mir sehr zuversichtlich, genug inhaltliche Distanz zur NPD zu halten, um nicht mit ihr über denselben verfassungsrechtlichen Kamm geschoren werden zu können. Und solange sie das ist, würde ein NPD-Verbot aus ihrer Sicht eher Stimmpotenziale freisetzen als sie selbst gefährden.

         

        Was die Aussage von Parteiprogrammen betrifft, bin ich durchaus Ihrer Meinung, dass man da auch zwischen den Zeilen lesen darf, deshalb das Wort "Auslegung". Aber die hat eben Grenzen. Man kann ja auch nicht öffentlich behaupten, dass z. B. ein Vertreter maoistischer Thesen Pol Pots Massenmorde gutheißen und sowas auch in Deutschland anzetteln würde (nur "abstrahierend", um dessen Intentionen zu vermitteln, versteht sich) - es sei denn, man kann beweisen, dass er wirklich so tickt.

         

        Auf welcher Seite dieser Grenze sich Herr Kailitz bewegt hat und auf welche Tatsachen sich die ergangene einstweilige Verfügung stützt, wird aus der Berichterstattung nicht klar. Mir fällt auf, dass die NPD beileibe nicht die einzige Partei wäre, die in ihrem Programm ihre gesellschaftlichen Zielvorstellungen ausbreitet und darüber, wie sie die ermöglichen will, dezent schweigt. Auch bei den anderen Parteien steht es aber deshalb niemandem zu, ihnen einfach zu unterstellen, wie brutal und verfassungsfeindlich ihr vorgestellter Weg zum Ziel aussieht.

         

        Man kann durchaus ein Ziel verfolgen, ohne genau zu wissen, wie es zu erreicht wäre. Zumindest diese entlastende Möglichkeit muss man - in Abwesenheit konkreterer Positionierungen - JEDER Partei intellektuell zugestehen (und angesichts der Konzeptstärke, die die NPD gewöhnlich an den Tag legt, wäre das auch wirklich nicht weit hergeholt). Hätte Kailitz das nicht getan und/oder seine Behauptungen über die Pläne der NPD auch sonst ohne hinreichende Nachweise aufgestellt, erscheint mir das Verbot unabhängig von der Parteizugehörigkeit des Richters vertretbar, wenn nicht gar zwingend.

  • Ich kann nur aus eigener Erfahrung reden, mit der Justiz in Dresden stimmt irgend was nicht.

  • NPD klagt. Richter urteilt. Verteidigung braucht nicht gehört werden.

     

    So läuft das in der neuen "Turbo-Justiz" powered by AfD in Sachsen. Da können Putin, Kim Jong Un et al. sich aber noch ne schön dicke Scheibe von abschneiden...

    • @cursed with a brain:

      ...not cursed by knowledge of facts...

      • @Trango:

        Als Richter kann man sich auch bei einer "einstweiligen Verfügung" Informationen von beiden Seiten einholen, bevor man zu einem Richterspruch kommt.

         

        Und die Befangenheit ist ja in diesem Fall mehr als offensichtlich.

         

        Aber was erzähle ich das einem vom schweren Ballast neutraler Fakten befreiten Bild-Konsumenten? http://taz.de/!5302107/#bb_message_3367450