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Venedigs Öko-System am Ende

■ Die Umweltkatastrophe weitet sich aus / Zur Algenpest jetzt noch Milliarden von Fliegen / Stellenweise treibt ein 30 Zentimeter dicker Teppich toter Fliegen auf dem Wasser / Einsatz starker Insektizide

Venedig (afp/taz) - Seitdem die Lagune in Folge einer Algenpest vor wenigen Tagen umgekippt ist, herrscht in der Stadt der Dogen ein bestialischer Gestank, der Übelkeit, Halsschmerzen und Atemnot auslöst. Hinzu kommen nun riesige Insektenschwärme, die sich zu Milliarden auf den Dächern der Palazzi niederlassen, die Fenster verdunkeln und stundenlang die Piste des Flughafens blockieren, auf der die Maschinen dann weder landen noch starten können.

„Pro Quadratmeter gibt es schätzungsweise 35.OOO Insektenlarven. In den USA liegt die Alarmstufe bereits bei 4.OOO“, erklärt die für Umweltfragen zuständige sozialistische Stadträtin Rosa Lamuzzi Carbone. Um die Fliegenplage zu bekämpfen, wenden Venedigs Stadtväter eine gefährliche Behelfstechnik an. Sie locken die Insekten mit starken Scheinwerfern auf die Lagune, wo sie sie mit „Dalmatinischem Insektenpulver“, einem sehr starken Insektizid 'besprühen. „Die toten Fliegen fallen herunter und bilden auf der Lagune oft eine Schicht von 3O Zentimetern“, sagt Frau Carbone und räumt ein, daß das Problem dadurch noch lange nicht gelöst sei.

Die Insektenplage ist eine Folge des Umkippens der Lagune. In den Kanälen Venedigs war es bereits vor Wochen zu einer übermäßigen Algenblüte gekommen. Verantwortlich für das unnatürliche Wachstum sind Schadstoffe - 1O.OOO Tonnen Stickstoff und 2.OOO Tonnen Phosphate - die jährlich zusammen mit anderen Industrie- und Hausabfällen ungeklärt in die Lagune geleitet werden. Hinzu kamen ungünstige Wetterbedingungen - Hitze und ein unerklärliches Ausbleiben der Gezeiten. Die Dichte der Algen von der Art „ulve rigida“ beträgt 5O Kilogramm pro Kubikmeter. Einige Algen haben die Größe eines Bettlakens erreicht . Nach Angaben von Experten sollen die Algen der Lagune insgesamt eine Million Tonnen wiegen. Vor wenigen Tagen begannen sie abzusterben . Dabei verbrauchten sie die letzten Sauerstoffreserven der Lagune die Lagune kippte um. In dem weißlichen, in fünf Metern Tiefe bereits auf 3O Grad aufgeheiztem Wasser, treiben nun Massen von Fischkadavern - ideale Brutplätze für Insekten.

Hunderte von Anrufen gehen täglich in den Krankenhäusern Venedigs ein. Die Menschen klagen über gerötete Augen, Übelkeit und Atembeschwerden. Die fauligen Dämpfe lassen das Tafelsilber in den venezianischen Haushalten in wenigen Stunden anlaufen, Goldschmuck wird rot und Kacheln bekommen gelbe Flecken. In der Stadt herrscht Ratlosigkeit. Italiens Grüne sprechen von einem Skandal und sind „entsetzt“. Indessen üben sich nicht nur Venedigs Stadtpolitiker, sondern auch Umweltminister Giorgio Ruffolo in Selbstkritik.

Nachdem die Folgen unverantwortlicher Umweltpolitik drastischer denn je zutage getreten sind , gibt Ruffolo zu: „Jahrelang sind mehr oder weniger kontrollierte Industrieabwässer, Haushaltsmüll und landwirtschaftliche Abfälle in die Lagune geleitet worden und haben sie in einen giftigen, hochverschmutzten Schwamm verwandelt.“ Ein „Zehnjahresprogramm“ zur Sanierung der Lagune sei „unproduktiv“ gewesen, das Geld falsch investiert worden, befand der italienische Rechnungshof.

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