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Valentinstag

■ Verknarst, verschroben und verdammt komisch: Walter Schmidinger liest Texte des legendären Münchner Komikers Karl Valentin in der »Bar jeder Vernunft«

Ein Zelt, ein Podium. Ein Stuhl, ein Tisch, darauf sprudelt ein Glas Mineralwasser. Ein Publikum, das, ohne auch nur ein erstes Tönchen vernommen zu haben, schon lange und warm applaudiert. »Also, wo wir gerade von Aquarien reden«, schlendert da der Schmidinger Walter auf die kleine Bühne der Bar jeder Vernunft und beginnt stante pede mit dieser augenzwinkernd unbeholfen komischen Art. Agiert sparsam, aber doch wirkungsvoll mit Armen und Augen, Stimme und Ton,um uns, die wir es doch endlich begreifen sollen, zu erklären, wo er denn nun eigentlich wohnt, — dort in der Sendlinger Straße, in der ersten Etage zwischen dem Paterre und dem darüberliegenden Stockwerk, wo eine Treppe hinaufgeht — »na, die geht natürlich nicht! Aber man sagt's halt so.«

Ja, man sagt's halt so. Der Schmidinger Walter sagt's halt so, wie's einst der große Valentin tat. Verknarst, verschroben und verdammt komisch. Dazu sprudelt das Mineralwasser in dem durchsichtigen Glaserl auf dem kleinen Tischchen mit den abgegriffenen Büchern, und die Perlen können über Stunden gar nicht aufhören, nach oben zu sprudeln, weil der Schmidinger uns alle mit diesen verqueren Geschichten so ins Sprudeln bringt. Und so haben sich, als wir dann endlich zu jenem Aquarium in der Sendlinger Straße zurückkommen, bei dem der Boden offensichtlich das wichtigste ist, »weil das Wasser sonst ja durchlaufen täte«, die ersten Gäste schon die eine oder andere kleine Lachperle aus den Augen gewischt.

Für die meisten Berliner Barbesucher, für die Walter Schmidinger seinen Valtentin noch einmal in so kongenialer Weise wiederaufstehen läßt, ist der hagere Volkskomiker aus München schon lange Geschichte. Eine Legende, eine Buchanthologie, ein verstaubter Filmausschnitt. Schmidinger gibt ihn uns wieder — uns Jungen, die wir den Valentin ja so recht noch gar nicht gehabt haben. Geht mit uns und mit ihm noch einmal ins Gärtnertheater, »wo sie wärhend der Pause gar nimmer spielen«, singt uns sein Couplet von den bayerischen Seen und schickt uns in die Pause mit dem Hinweis, daß da vorne ein ganzer Stapel Bücher von Karl Valentin auf uns wartet: »Die können Sie alle kaufen, da brauchen Sie nie wieder herzukommen.« Dazu perlt das Glas Mineralwasser immer noch un(an)gerührt seine Perlen — und dieses Sprudeln — ach, es spiegelt sich ganz keck in Schmidingers Augenwinkeln. Denn natürlich bleiben wir alle und würden jederzeit wiederkommen. Was ist schon so ein totes Buch gegen einen echten Schmidinger, der so erstaunlich Valentin ist, ohne aufzuhören, Schmidinger zu sein?

Draußen gibt es einen dumpfen Knall. »Man schießt auf mich«, kommentiert der Herr an dem kleinen Tischchen die akustische Unterbrechung erschrocken. Das Auditorim lacht. Der Herr schmunzelt zurück, und nun meint man endlich den Schmidinger Walter hinter dem Tischchen erkannt zu haben. Da lehnt er sich nach vorne, verlagert das Gleichgewicht, verstärkt die Perlen in den Augenwinkeln und setzt nach: »Aber man hat mich nicht erwischt!« Das steht in keinem Buch, gibt's in keinem Film. Das ist Karl Schmidinger, wie er leibt und lebt.

Erst ganz am Ende, als er die in das Kreisrund geworfene rote Rose keck in das Wasserglas taucht und dem wissenschaftlich nicht mehr erklärlichem Sprudeln dort endlich ein Ende bereitet, da teilen sich — für ganz kurz nur — die beiden so seelenverwandten Geister. Da trägt der Schauspieler Schmidinger eine Geschichte aus dem Leben des Volkskomikers Valentin Ludwig Fey vor. Gar keine komische Geschichte, sondern eine recht traurige. Eine schreckliche Geschichte, genau genommen. Geschichte eben.

»Es gibt also zwei Formen von Weiterleben nach dem Tod«, beschließt Walter Schmidinger seinen Karl-Valentin-Abend, »eine im Jenseits und eine im Kino«. Nur für Valentin, für den gibt es noch eine dritte: Schmidinger, Walter heißt die, und sie zeigt sich noch einmal heute abend in der Bar jeder Vernunft. Klaudia Brunst

»Walter Schmidinger liest Karl Valentin« nur noch heute um 21 Uhr in der Bar jeder Vernunft, Schaperstraße.

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