american pie : Vabanquespiel mit Kobe Bryant
Nach dem Abgang des Korbmonsters Shaquille O’Neal hoffen die Los Angeles Lakers, dass ihr alter Mitstreiter Vlade Divac einen Teil der Lücke stopft
Als sich die Los Angeles Lakers Mitte der Neunziger daran begaben, nach Jahren des Niedergangs wieder ein meisterschaftsfähiges Team zu formen, und zu diesem Behufe erst den jugendlichen Kobe Bryant, dann den massigen Shaquille O’Neal verpflichteten, war Vlade Divac eines der ersten Opfer. Der serbische Center, der 1989 aus Belgrad zu den Lakers gekommen war und zunächst harte NBA-Lehrjahre unter der Fuchtel von Magic Johnson absolvieren musste, wurde für Bryant zu den Charlotte Hornets abgeschoben. Zwei Jahre später landete er bei den Sacramento Kings, mit denen er sechsmal die Play-offs erreichte und mehrfach an der Meisterschaft schnuppern durfte. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Divac nun offenbar einen Teil der Lücke schließen soll, die Shaq in Los Angeles hinterlassen hat.
In Sacramento hatte der 36-Jährige zuletzt viel Spielzeit an Brad Miller verloren, einen neuen Vertrag wollte man ihm nur zu extrem verschlechterten Bedingungen bieten. „Ich hätte in Sacramento für weniger Geld gespielt“, sagt Divac, „aber nicht für so wenig.“ Die Gelegenheit für die Lakers, die sich entschlossen haben, ihr neues Team ganz auf die Person Bryant zu gründen. Deshalb ersetzten sie nicht nur den Chefcoach und Kobe-Kritiker Phil Jackson durch Rudy Tomjanovich, sondern ließen auch Bryants Intimfeind O’Neal gen Miami ziehen. Von dort kamen dafür mit Lamar Odom, Caron Butler und Brian Grant drei hervorragende Spieler, doch mit dem für einen Center recht kleinen Grant gegen die Riesen der Western Conference bestehen zu wollen wäre ziemlich vermessen. Der routinierte Divac ist die ideale Ergänzung für ein Team, das nach dem Weggang von Leuten wie O’Neal, Malone und Derek Fisher einen ganz anderen Basketball spielen wird als vorher – Kobe-Bryant-Basketball im Wesentlichen.
Die Fokussierung auf den 25-jährigen Superstar war ein riesiges Risiko, solange der seinen neuen Siebenjahresvertrag über 136,4 Millionen Dollar noch nicht unterzeichnet hatte. Aber es bleibt auch danach ein Risiko, nicht nur wegen seines Vergewaltigungsprozesses, der am 27. August beginnt und durchaus dazu führen könnte, dass der designierte Lakers-Chef die nächsten Spielzeiten im Gefängnis statt in den Arenen der NBA verbringt. Auch bei einem Freispruch drohen Probleme. Ohne Jackson und Shaq als Korrektiv kann Kobe Bryant noch ungezügelter seine Egotrips auf dem Platz ausleben, die nicht immer dem Wohl des Teams dienen – und dem Teamgeist schon gar nicht. Vor allem Lamar Odom, selbst einer der besten Spieler der NBA, oder dem Veteranen Gary Payton, wenn er bei den Lakers bleibt, könnte bald der Kragen platzen angesichts der unumschränkten Herrschaft des unbeliebten Teamkollegen Bryant.
Sollte aber alles funktionieren wie erhofft, wäre ein pikantes Treffen im NBA-Finale nicht unwahrscheinlich: Kobe Bryants Lakers gegen den nunmehrigen Eastern-Conference-Favoriten Miami Heat. Jeden Muskel seines voluminösen Körpers würde Shaquille O’Neal dann in Hochform bringen, um seinem alten Team den Garaus zu machen.
MATTI LIESKE