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Archiv-Artikel

VON EINER ARBEITSLOSEN UND IHREM KAMPF MIT DEM AMT Schäferin geht nicht

Der Kapitalismus braucht Arbeitslose wie der Süchtige Stoff

VON HELMUT HÖGE

Gleich nachdem die BRD das MfS aufgelöst hatte, meinte der Dramatiker Heiner Müller: „Eine Gesellschaft, die Arbeitslose hat, braucht keine Stasi.“ Der Hallenser Psychologe Hans-Joachim Maaz versicherte kürzlich dem Spiegel: „Die meisten Menschen im Osten empfinden die Bedrohung durch den Verlust des Arbeitsplatzes schlimmer als die einstige Bedrohung durch die Stasi.“ Nachdem man 2003 das „Hartz“-Gesetz verabschiedet hatte, verkündete der Verbrecher Peter Hartz lauthals: „Was für ein glücklicher Tag für alle Arbeitslosen!“ Der Richter am Bundesverwaltungsgericht Uwe Berlit schrieb dagegen: Mit diesem Gesetz schaffe der Staat rechtlose Untertanen. Vorauseilender Gehorsam werde zur Voraussetzung, damit der Staat diesen entrechteten Menschen die sozialen Existenzgrundlagen nicht vollständig entzieht, wobei selbst diese Unterwürfigkeit keine Garantie biete, dass es nicht doch dazu kommt. Denn nahezu alles ist eine Ermessensentscheidung der neuen „Fallmanager“ des Arbeitsamtes.

„Man muss allzeit bereit sein und darf sich nicht vom Fleck bewegen“, so sagt es die Berliner Jobcenter-„Kundin“ Jutta Behrens, die seit ihrem Kunsthochschulabschluss 1998 arbeitslos gemeldet ist – und von ihren sogenannten Arbeitsvermittlern seitdem mehrmals buchstäblich in den Wahnsinn getrieben wurde, das heißt, sie war oft krank. Seit sieben Jahren erkundet sie Schäfereien und hat vier Praktika bei Schafzüchtern gemacht – ohne Wissen des Jobcenters: heimlich quasi.

Von wegen flexibel

2009 arbeitete sie in einem Ausbildungsbetrieb in Mecklenburg. Der Bauer bot ihr eine Lehrstelle als „Tierpflegerin Schäferei“ an, zuvor sollte sie ein Dreimonatspraktikum dort absolvieren. Ihr Arbeitsvermittler sagte jedoch: „Es gibt keine Schäfereien in Berlin – und deswegen: nein.“ Sein Vorgesetzter fügte hinzu: „Das Arbeitsamt ist kein Wunschkonzert!“ Außerdem zahle das Arbeitsamt nur noch Einmonatspraktika.

Jutta Behrens ließ nicht locker: „Die sagen doch immer, man müsse auch bereit sein, weit weg vom Wohnort einen Job anzunehmen.“ Sie bat um einen neuen Termin. Diesmal bekam sie es mit einer Arbeitsvermittlerin zu tun, die sogar beim Jobcenter in Lüneburg anrief, wo man ihr nur mitteilte: „Wir haben keine freien Schäferstellen hier.“ Die Arbeitsvermittlerin riet ihrer „Kundin“ jedoch: „Fahren Sie trotzdem mal hin, ich mache einen Vermerk. Ihr zukünftiger Arbeitgeber muss Ihnen allerdings mindestens 405 Euro monatlich zahlen.“ Die Lehre zahlte ja der Schäfer, ihr Vater erklärte sich darüber hinaus bereit, die Miete plus Kaution in Mecklenburg zu übernehmen, sodass das Jobcenter bloß ihre Berliner Wohnung weiterzahlen musste.

Wegen eines Termins rief sie darauf so lange beim Jobcenter in Schwerin an, bis ihr Geld alle war. Schließlich fuhr sie hin, dort sagte man ihr aber nur: „Es gibt keinen Vermerk. Sie dürfen hier gar nicht sein, fahren Sie bloß zurück zu Ihrem Jobcenter und bringen das in Ordnung!“ Jutta Behrens ging erst einmal zu ihrem Arzt, der ihr riet, die Lehre zu machen: „Das wird Ihnen guttun“. Dem Jobcenter reichte das jedoch nicht, sie musste auch noch zu einem Amtsarzt. Dort erfuhr sie: „Die Reha fürs Arbeitsleben, wenn man oft krank war, besteht aus drei Teilen. 1. Sie müssen einen vierseitigen Fragebogen zum Schäferberuf ausfüllen. Wenn man alle Fragen richtig beantwortet hat, dann geht es weiter mit 2. dem Praktikum und 3. der Lehre.“

Jutta Behrens bat ihr Jobcenter um einen neuen Termin – bekam jedoch erst mal keinen. Darüber verstrich der Beginn ihres Praktikums am 15. 1. 2010. Sie bat ihren Schafzüchter, dem Jobcenter sein Lehrstellenangebot schriftlich zu geben. Er lehnte ab, es war ihm mittlerweile alles zu kompliziert geworden. Ende Januar bekam sie endlich einen beim Jobcenter, den sie jedoch nicht mehr wahrnahm: „Ich hatte ja nichts mehr zu sagen.“

In der taz fand sie dann eine Annonce: „Schäfergehilfe zur Lammzeit gesucht“ – von einer Schäferei auf der Schwäbischen Alb. „Ich wusste ja, dass ich die Erlaubnis vom Jobcenter, wenn überhaupt dann höchstens in einem Monat bekommen würde – und dann wäre die Lammzeit vorbei gewesen. Deswegen bin ich dort einfach für vier Wochen hingefahren und habe da mein fünftes Praktikum gemacht. Ich mache jetzt noch zwei, drei Praktika – keine Lehre mehr – und werde dann ‚Schäfergehilfin‘.“