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VIVA DIVA

Das Tuntenphänomen: Wayne Koestenbaums essayistische Eloge auf die schwule Faszination für „Opera Queens“  ■ Von Sabine Zurmühl

Das Auge des Stewards blitzt unmerklich, und er wird so freundlich. Ich bin verdutzt, bis mir klar wird, daß er in offensichtlicher Wiedererkennensfreude auf den Rückeinband meiner Lektüre starrt, die „Königin der Nacht“.

Man kann nicht sagen, daß mir der Autor Wayne Koestenbaum während der durchaus anstrengenden Lektüre seines Buches sympathisch geworden wäre. Auch der Eloge im Klappentext von Susan Sontag über dieses „brillante“ und „ekstatische Buch“ habe ich nicht zustimmen können – aber Respekt hat er mir abgerungen, und zu lernen war einiges.

Das Buch heißt im Untertitel „Oper, Homosexualität und Begehren“ und weckt damit breiteste Erwartungen, die Wayne inhaltlich eher schmal, dafür aber wortreichst, gewissermaßen mit Wörterkontrollverlust behandelt; es ist letztlich ein Buch geworden über die Opernqueen, die Operntunte, den männlichen Schwulen, der besessen ist von Opern, mehr aber noch von der Diva, der weiblichen wohlbemerkt, sowie eigentlich von sich selbst als Kopie einer Diva.

Die „Opernqueen, mein Geist“ nennt Wayne seinen Traum, den er seit frühester Kindheit in vielfältigen Formen verfolgte: „Wer eine Opernqueen ist, interpretiert seine Wünsche mit dem Vokabular der Sucht. Die Liebe zur Oper erscheint als eine Krankheit, die unter Kontrolle zu bringen ist...“

Oper ist eine scheinbar anachronistische Kunstform. Sie baut auf höchst künstliche Weise Welten auf, die sich mit den grundlegenden Erfahrungen der Seele beschäftigen. Dies allerdings oft auf so hanebüchen sperrigen Handlungsmustern, daß Spott und Hohn das einfachste Geschäft werden. Hinter den launigen Fragen, warum jemand immer noch weitersinge, obwohl er doch schon seit einer halben Stunde den Dolch im Leibe hat – hinter diesen Witzen verbirgt sich oft ein feiner, kleiner Klassenkampf. Hierzulande jedenfalls.

Für Wayne Koestenbaum, den Literaturdozenten der Yale University, ist das selbstverständlich kein Thema mehr. Er steht zu seiner Opernleidenschaft, die – nicht untypisch – in der Pubertät sich bildete. „Wenn ich mich in eine pornographisch-puerile Melancholie versenke, schände ich dann die Stimmen, die ich liebe?“ Eine Leidenschaft, die den Fetisch Schallplatte ebenso umschloß wie die frühe Lektüre der Opera News, das Nachbauen von Pappopernbildern, das endliche Entdecken der schwulen Identität in der Auseinandersetzung mit den Geschlechterbildern der Oper.

Koestenbaum spricht von der Oper als einer „Bastardform“, einem „Zwitter“. Er plaudert aus dem Nähkästchen des Opernhörers, er verrät Geheimnisse, die zum guten Ton verschwiegener Opernrezeption gehören. Was passiert mit den Menschen, die stumm und steif – bitte keine Geräusche machen! – diesem Zauber da oben sich hingeben. Was fasziniert und was passiert zwischen der Oper und der blutenden Welt?

Zum Beispiel: daß er ein Duett zwischen Mann und Frau „intensiv schwul“ fand, weil es „Masochismen, Selbsterniedrigungen und Erfüllungen abbildet...“ Zum Beispiel: daß ein schwuler Junge beides fühlen kann: die Hoffnung auf das Happy-End mit der Freude der klanggemalten Emotionen einer Heterowelt. „Wer homosexuell ist, mag sich gelegentlich wünschen, daß seine Gefühle so öffentlich und statuarisch ragen wie die Heterosexualität, diese fiktive, ferne, staatstragende Hochebene“ – gleichzeitig aber die stromlinienförmige Identifikation und heftige Zuneigung zu der strahlenden Mittelpunktsängerin, der Diva.

Einfach kompliziert, das Tuntenphänomen: Ein schwuler Mann, der ja die Männlichkeit (seine Männlichkeit?) vermutlich gleichzeitig verehrt und ablehnt, sucht sich die besonders auffällige, einsame, einzigartige, weibliche Ikone als Identifikationsbild. Die Diva stürzt die Geschlechterspezifik um, „indem sie die Weiblichkeit gleichzeitig mächtig und künstlich erscheinen läßt“. Am heftigsten die Callas, wir wissen es alle.

Die Platten der Callas werden übrigens in Lesbenlokalen genauso gern gespielt wie in Schwulenbars. Ein edler Wettstreit um die richtige Anverwandlung – die Frauen lieben (vielleicht) die Kraft und die Beweglichkeit und die Intensität der Callas, die traurige Geschichte auch und das Märchen vom häßlichen Entlein und dem Verrat der Kunst für die schnöde Liebe zu einem Ölfifi... Für Koestenbaum „bleibt die Callas die Operndiva, die am engsten, wenn das auch unausgesprochen bleibt, mit den schwulen Fans in Verbindung gebracht wird. Callas verbindet mit Themen, die immer diese schwule Kultur überschattet haben: vorzeitiges Sterben, Flüchtigkeit, Einsamkeit.“

Besonders beschäftigt Koestenbaum darin der Moment der Krise, der Stimmkrise, des Zusammenbruchs, der ja in der Biographie der Callas eine dramatische Rolle spielte: „Da die Diva den Beweis erbringt, daß das mühelose Singen eine Maskerade war und jetzt ihr

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angeknackstes, geschwächtes, mißtönendes Selbst unverhohlen zum Vorschein kommt.“

Koestenbaum beschreibt die schwule Kultur als Lehrmädchen der Diva, „die weiß, wie man innerlich so tut, als sei man göttlich“. Er schwelgt in Fotos und Beschreibungen der geschminkten Münder, hochgereckten Kinne, kleinen Zungen und der schwirrenden Glottis, dem Zäpfchen der Sängerinnenmünder. Er spielt mit den Begriffen der Kehle, des geschluckten beziehungsweise ausgestoßenen Tons, der „Königin der Nacht“ eben. Kurzum: Er sexualisiert den Gesang aufs kräftigste. Gleichzeitig verrät er aber auch die Schreckgespenster aller Schwulendebatten, die tieferliegenden psychischen Schichten, die noch die Wunden der alten Verfolgung tragen und lieber in die abgelegten Kartons der Aufklärung sortiert werden: „Die Stimme will reinigen und transzendieren, Homosexualität ist der Schmutz, den der Gesang – ein Putzmittel – wegscheuern muß.“

Wie verträgt sich das? Der offensive Szeneschwule, der den so zahlreichen – sagt er! – schwulen Opernkritikern zuruft, doch endlich auch von dieser Seite ihrer Wahrnehmung und Identifikation zu schreiben, und der selbstironische Enthusiast und Operndilettant, der gar nicht ausführlich genug von den Rüschenkleidern der Operndiven des 19. Jahrhunderts schreiben kann und den appetitlichen Fotos der halbnackten „Aida“-Statisten. Das Schallplattencover auf ihre erotische Botschaft untersucht und irgendwie Unterwäschefetischist sein könnte.

In Koestenbaums Buch stehen alle seine minutiösen Mitteilungen über Gefühle, Körpersensationen und Sammelerfolge unvermittelt nebeneinander. In seiner Provokation, die Vermittlung dieser unterschiedlichsten Bereiche erst gar nicht zu versuchen, sie oft auch verwirrend und mühselig unverwandt zu lassen, liegt ein unglaublicher Narzißmus, den zu ertragen mir schwerfiel. Koestenbaum beschäftigt sich weniger mit den Inhalten der Opern, mit den Charakteren der musikalischen Dramen. Er geht auf die sekundären Botschaften ein, den heimlichen Lehrplan, wie er ihm zum Beispiel im Hören des Belcanto durchscheint: „Homosexualität und Belcanto sind nicht dasselbe, aber sie erscheinen verpackt in Diskurse von Kontrolle und Heilung.“

Die amerikanische Patchworkdecke aus selbstironischer, tuntiger Puzzelei und fast metaphysischer Offenheit für die Wirkung der Oper changiert zwischen Hell und Dunkel und läßt offen, welche Farbe wir vorziehen: „Gewisse Glaubenssätze, die in die Oper und in die schwule Kultur eingenäht sind: Tabuisierte Liebe führt zum Tod. Ein toter, verwundeter oder gelähmter männlicher Körper ist ein erotischer Anblick und inspiriert einen Sopran zum Gesang.“

Laß hören!

Wayne Koestenbaum: „Königin der Nacht“. Aus dem Amerikanischen von Joachim Kalka. Klett- Cotta 1996, 361 Seiten, 38 DM

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