Urteil zum Mord an CDU-Politiker: Lübcke-Familie legt Revision ein

Die Angehörigen von Walter Lübcke gehen gegen den Freispruch des Mitangeklagten Markus H. vor. Auch alle anderen Beteiligten legen Revision ein.

Die Witwe und Söhne von Walter Lübcke bei der Urteilverkündung im Saal des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main

„Schwer zu verkraften“: Die Witwe und Söhne von Walter Lübcke bei der Urteilsverkündung Foto: Kai Pfaffenbach, dpa

FRANKFURT/MAIN taz | Das Urteil war eine Enttäuschung für die Familie Lübcke. Vor knapp einer Woche war der Kasseler Rechtsextremist Stephan E. für den Mord an Walter Lübcke zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der Mitangeklagte Markus H. aber erhielt einen Freispruch. „Nicht nachvollziehbar und schwer zu verkraften“ sei der Freispruch, erklärte die Familie. Nun belassen es die Angehörigen nicht bei ihrer Enttäuschung: Sie legen Revision gegen das Urteil im Fall Markus H. ein.

Ziel sei die Aufhebung des Freispruchs, teilte die Familie am Mittwoch mit. Sie sei davon überzeugt, dass Markus H. den Mord an Walter Lübcke „jedenfalls zumindest tatkräftig durch Vermittlung der Tatwaffe, jahrelange gemeinsame Schießübungen, gemeinschaftliches Auskundschaften der Fluchtmöglichkeiten am geplanten Tatort und manipulative psychische Beihilfe unterstützt hat und dies nachweisbar ist“. Zudem sprächen Indizien dafür, dass Markus H. sogar beim Mord mit am Tatort war.

Holger Matt, der Anwalt der Lübckes, verwies auf abgelehnte Beweisanträge im Prozess, die weitere Aufklärung hätten erbringen können. Deshalb kämen für die Revision sowohl Verfahrensfehler als auch materiell-rechtliche Fehler in Betracht.

Eine Sprecherin des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main bestätigte der taz den Eingang der Revision. Die Witwe und zwei Söhne von Walter Lübcke hatten bereits im Prozess erklärt, sie sähen Markus H. als Mittäter – und forderten für ihn, ebenso wie für Stephan E., eine lebenslange Haftstrafe. Die Familie nahm als Nebenkläger am Verfahren teil.

Markus H. will auch für Waffenverstoß Freispruch

Das Gericht aber war von H.s Schuld nicht überzeugt. Weder sei zweifelsfrei nachweisbar, dass die Schießübungen die Fertigkeiten von Stephan E. für den Mord verbessert hätten, noch dass E. durch gemeinsame Besuche auf rechten Aufmärschen radikalisiert worden sei. Auch die Aussagen von Stephan E., dass Markus H. mit am Tatort gewesen sei, seien nicht glaubwürdig. Die Richter verwiesen auf den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“. Verurteilt wurde Markus H. letztlich nur zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung wegen eines Waffenverstoßes.

Die Familie Lübcke ist mit ihrer Revision nicht allein. Auch alle anderen Prozessbeteiligten fechten die Urteile an. Im Fall Markus H. hatte die Bundesanwaltschaft bereits nach der Urteilsverkündung Revision angekündigt: Sie teile die Zweifel des Gerichts nicht. Die Ankläger hatten eine Haftstrafe von neun Jahren und acht Monaten für Markus H. wegen psychischer Beihilfe zum Mord gefordert.

Auch Markus H. geht gegen das Urteil vor: Er will einen Freispruch auch für den Waffenverstoß, für den er verurteilt wurde. Dem Rechtsextremen war vorgeworfen worden, eine Maschinenpistole, die er als „Dekowaffe“ besaß, nicht ausreichend schussunfähig gemacht zu haben.

Revision gegen sein Urteil legt auch der Hauptangeklagte Stephan E. ein. Der 47-Jährige hatte gestanden, Walter Lübcke am 1. Juni 2019 erschossen zu haben – aus aufgestauter Wut über die Kritik des Kasseler Regierungspräsidenten an Geflüchtetengegnern auf einer Bürgerversammlung. Wegen seines Geständnisses und weil die Tat angeblich nur ein Totschlag, kein Mord, gewesen sei, forderte er ein mildes Urteil – und bekam doch die Höchststrafe.

Und auch Ahmed I. will Revision einlegen. Das kündigte sein Anwalt Alexander Hoffmann der taz an. Ahmed I., ein irakischer Geflüchteter, war am 6. Januar 2016 vor seiner Kasseler Asylunterkunft mit einem Messer niedergestochen worden. Auch für diese Tat war Stephan E. angeklagt, unter anderem weil sich bei ihm ein Messer mit Fragmenten von DNA fand, die der von Ahmed I. ähnelten.

Das Gericht sah aber auch hier keine zweifelsfreien Belege, die für eine Verurteilung E.s ausgereicht hätten. Die Bundesanwaltschaft hatte hingegen auch hier eine Verurteilung von Stephan E. gefordert. Sie ließ in ihrer Revision zunächst offen, ob sie auch gegen diesen Freispruch vorgeht.

Damit stehen nun alle Urteile des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main im Lübcke-Prozess auf dem Prüfstand. Über die Revisionen entscheidet der Bundesgerichtshof in Karlsruhe.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.