: Urteil am Tunnelende
■ Mit hohen Haftstrafen ahndet Berliner Landgericht den spektakulären Bankraub Mitte letzten Jahres. Ein Teil der Beute fehlt
Berlin (taz) – „Das ist ein Arschloch!“ ruft eine Frau unter Tränen aus den Zuschauerreihen. „Bravo!“ pflichtet ihr einer der fünf Angeklagten bei und klatscht in die Hände. „Jetzt haben Sie es geschafft!“ ruft er in Richtung des Staatsanwalts, er funkelt ihn böse an.
Gerichtsdiener schlagen den Journalisten die Türe vor der Nase zu. Der letzte Tag in der Verhandlung des in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik spektakulärsten Bankraubs ist vorbei. Die Urteile sind gesprochen, die Angeklagten von der 2. Strafkammer des Berliner Landgerichts der Geiselnahme, des erpresserischen Menschenraubs, des schweren Raubs und des illegalen Besitzes von Schußwaffen überführt. Das Gericht verurteilte gestern die beiden Drahtzieher, den Syrer Khaled Al Barazi (46) und den Kurden Dergham Ibrahim (38), zu Haftstrafen von 13 und 12 Jahren. Sebastian Vierath (24), der einzige Deutsche, muß für elf Jahre hinter Gitter. Er wurde zwar relativ spät in die Pläne eingeweiht. Doch nach Ansicht des Gerichts ist er während der 18stündigen Geiselnahme von 16 Bankangestellten und Kunden besonders aggressiv gewesen. Ein Bruder des Bandenchefs, Mouzaffer Al Barazi (33), wurde zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Mit einem blauen Auge von sechs Jahren kam der Syrer Mohamad El Karmi (33) davon. „Tunnel-Toni“ hatte die Garage gemietet und umgebaut, wo der Coup seinen Anfang nahm und jetzt Hundefutter verkauft wird. Das Geständnis des schwerhörigen Analphabeten war, so das Gericht, „der Schlüssel zum Erfolg“.
Das Urteil ist gefällt. Doch die Hintergründe des Überfalls auf die Filiale der Commerzbank in dem Westberliner Nobelstadtteil Schlachtensee im Juni vergangenen Jahres sind damit noch lange nicht geklärt. Noch immer fehlen mindestens fünf Millionen Mark aus der Beute. Die Angeklagten hatten angegeben, Summen zwischen 5.000 und 90.000 Mark bekommen zu haben. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß die Gangster rund 16 Millionen Mark erbeutet haben. Nachweisen konnte sie ihnen aber nur zehn Millionen. Unstrittig ist, daß sie 5,6 Millionen Mark Lösegeld bekamen und 700.000 Mark aus dem Banktresor raubten. Doch über die Höhe der Beute aus den Schließfächern kann nur spekuliert werden.
Den entscheidenden Tip für die bisher sichergestellten 5,3 Millionen Mark hatte ein syrischer Zahnarzt gegeben, der als Doppelagent gearbeitet haben soll. Nach Stasiakten soll er sich auch im Umfeld des weltweit gefährlichsten Terroristen „Carlos“ herumgetrieben haben. Der Zahnarzt hatte sich kurz nach der Verurteilung seines Bruders wegen Stasitätigkeit nach Damaskus abgesetzt.
Auch die Suche nach eventuellen Hintermännern ist guter Stoff für die Phantasie. Bandenchef Khaled Al Barazi, der jahrelang für die Spionageabwehr der Stasi gearbeitet haben soll, sagte aus, daß ein Hintermann den Tunnelbau finanziert habe. Aus Angst um seine Familie könne er dessen Namen nicht nennen. Daran glaubt das Gericht ebensowenig wie an Helfershelfer in der Bank. Trotzdem sei „bemerkenswert“, so das Gericht, daß der Durchbruch zur Bank an der dünnsten Stelle der Kellerdecke erfolgte.
Der Vorsitzende Richter, Hans- Jürgen Brüning, lobte in seiner zweistündigen Urteilsbegründung die „Kooperation“ aller Beteiligten. Entscheidend für die Strafhöhe sei das „Höchstmaß an Professionalität“, die bei der Geiselnahme mitgeführten Waffen, unter anderem eine Maschinenpistole und Splitterhandgranaten, und die Folgeschäden bei Geiseln gewesen. Wegen der „Einmaligkeit“ der Tat müsse nicht mit Nachahmern gerechnet werden. Der Anwalt des Bandenchefs hat gestern Revision angekündigt. Barbara Bollwahn
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