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Urfaust-ärgere-dich-nicht

■ Das freie Theater ars Invert gibt den „Urfaust“in der Fabrik

Die arme Seele kurz vor ihrer Zweiteilung. Sie seufzt. Das Studierzimmer, ein überdimensioniertes Mensch-ärgere-dich-Spiel. Papierrascheln, Ruhe, dann Resignation. Faust fällt in Grüblerpose für den Anfangsmonolog. Er stammelt die berühmten Verse, verschluckt sich daran, holt Luft, verflucht herzhaft den tradtionsgläubigen Rationalismus der Wissenschaften und ist doch nur einen Atemzug von hysterischem Verlachen alles Logischen entfernt.

Die paracelsische Sehnsucht des Urfaust nach dem Großenganzen will hier, in der Inszenierung des Theater ars Invert unter der Regie von Thorsten Diehl, nichts Spirituelles annehmen. Überreizt und dekadent klingt sie, und wirkt eher wie ein versnobbtes Ablenkungsmanöver eines Beschränkten, dem die Schlachtfelder des eigenen Geistes nicht mehr genug rauchen. Faust (Michael Hasenfuß), als ein eitles, um sich selbst kreisendes Hirngestirn, ausgesetzt in einem Spiel für vier Personen und in der schäbigen Provinz des Gewöhnlichen. Dazu ein wunderbar gespielter Mephisto (Markus Bartl), der seinen aasig-zynischen Charme immer wieder neu aus völlig offenen, episodisch organisierten Szenen herbeispielt.

Wenn Mephisto sich an Seilen hoch und runter schlängelt, die Fabrik-Bühne wie eine Quetschkommode in die Vertikale zieht, dann wird das Ganze zum Ereignischacht. Überrumpelt ars Invert das Publikum nicht gerade mit einem tollkühnen Versuch einer durch und durch zeitgemäßen Adaption, dann doch mit vielen schönen inszenatorischen Details. Die Monitore mit Direktschaltung zur Hölle oder zum herumlaborierenden Famulus, jonglieren mit Gleichzeitigkeiten und werfen den Zuschauerblick immer wieder in Kreis herum. Und wenn Gretchen nach der ersten Begegnung mit Faust schwärmend seine Abbilder wie Steckbriefe an die Holzpfeiler pinnt und die Videokamera zeigt, daß gerade ein Püppchen zum Herausschmeißen bereit steht, ist das eine schöne Ironie, die fatalistische Verzagtheit als hundsgemeine Spielregel genießt. Birgit Glombitza.

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