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Archiv-Artikel

Urdrüs wahre kolumne Junge Leute zum Mitreisen

Gegenwärtig befinde ich mich in der alten Reichshauptstadt, wo all die Potentaten sitzen, die über das Schicksal von Hartz IV-Empfängern, Biolandwirten und tazbremen-LeserInnen entscheiden und außerdem die Internetläden so verwirrend installiert sind, dass der Laie nicht in die Lage kommt, eine e-mail zu schicken und das Schriftgut daher per Fax übermitteln muss. Und in einem der Seitenschächte des U-Bahngewirrs in Mitte posiert ein junger Gangsta-Rapper in verwegenem Weiß in allerhand schrägen Posen vor Scheinwefern und pimmelhafter Profikamera mit Stinkefinger, simulierter Pumpgun und fieser Miene an einer von einschlägigen Idioten hinreichend verunzierter Wand. Regie führt bei dieser mutmaßlichen Promotion-Vorbereitung eines einschlägigen Musiklabels dabei ein Producer, der in Bremen jederzeit als Schulenberg-Doppelgänger durchgehen würde. Wie er da so vorschlägt: „Kuckmal ’n bisschen härter, Junge“, da nähern sich mit viel Spott und Hohn ein paar echte Ghettokids in stilsicheren Baggytrousers , wiehern hämisch „Huh, jetzt kriegen wir aber Angst“ und werfen nach dem Gangstarap-Darsteller mit leeren Coladosen, worauf der Schulenberg-Klon den Typen in ihren übergroßen Hosen ein paar Scheine zusteckt mit der Aufforderung, aus dieser urbanen Lifestyle-Kulisse zu verschwinden. Leider waren sie käuflich, aber immerhin …

Wie die Drohungen des jungen Herrn Kastendiek mit „personalwirtschaftlichen Konsequenzen“ angesichts der Finanzlage des Bremer Theaters belegen, nützt es dem Gevatter Pierwoß vermutlich wenig, sich von seinem geschassten Arbeitskollegen Dünnwald zu distanzieren, denn in Wahrheit will der Senat das Podium der Narren und Freien an die Kandare nehmen, um sich noch stärker in Richtung Eventkultur zu positionieren. Und da kann so ein alter Thespiskarren nur hinderlich sein. Hoffentlich kommt diese Einsicht nicht zu spät!

Wenn so ein durchgeknallter Menschenquäler von der „Zwangsarbeitsverwaltung“ Bagis mal schlecht geschlafen hat und seinen Sadismus wieder am Schreibtisch abarbeiten muss, um die private Zweierkiste nicht durch ewige Nölerei zu gefährden, dann weist er halbwegs legasthenische Kunden schon mal an, ihm doch bitteschön beim nächsten Mal mindestens 50 Bewerbungen vorzulegen und droht dem Depressiven an: „Wetten, dass ich heute einen Job für Sie habe? Ich kann es einfach nicht verantworten, dass Sie zuhause vor sich hingrübeln statt was Konstruktives zu tun.“ Wenn dann aber die Stiftung Warentest die Leistung der Bremer Hartz IV-Verwalter mal ein bisschen evaluieren möchte, ist man sich ganz schnell darin einig, dass man seinen Beitrag dazu nicht leisten kann: Ich fordere für diese Dämelacks ein Langzeit-Praktikum auf der anderen Seite der Schranke oder eine Zuweisung als junger Leut zum Mitreisen bei der Freimarkt-Mandelbude! Gegen diese Zumutung dürfte man sich allerdings institutionell wegen Unzumutbarkeit dauerhaft abgesichert haben (Na gut, Dieter. Es gibt natürlich auch Gute bei euch. Aber nützt das was?)

Toll, dass die in der Lokal-taz zitierte Pestalozzi-Schülerin Filiz nach absolviertem Aikido-Kurs selbst für den ersehnten Ausbildungsplatz als Floristin kämpfen will, obwohl ihr der Onkel Willi seine Hilfe bei der Jobsuche zugesagt hat. Umsonst ist bei diesen guten Onkels auch und gerade für nette junge Mädchen rein gar nichts!

Freimarkt ist immer dann, wenn es in der Waller Vorstadt-Disse „Alle Tage Sonntag“ (Altaso) jeden Tag Fischbrötchen und Würste vom Rossschlachter gibt und der Busfahrer auf der Linie 26 „Jedes Jahr die gleiche Scheiße“ brüllt. Wenn sich wieder mal ein Kinderwagen mit daran befestigtem Luftballon in den Ausgangsschranken verheddert und Ein- wie Aussteigende in kollektive Panik geraten. Dennoch wollen wir das Spektakel nicht missen und halten trotzig mit Gräfin Emma gegen alle Versuche der Messe-Pleitiers an, dem lukrativen Volksfest noch mehr Quadratmeter für ihren Subventionsschwindel zu Lasten des Steuerzahlers abzuknapsen. Notfalls wird man in diesem Kampf auch die Hilfe der Catcher in Anspruch nehmen müssen, die über Jahre peu à peu aus der Halle für alle vertrieben wurden. Ich werde das mal in einer Kampfpause beim Wrestling-Cup auf dem Schützenplatz in Hannover zur Diskussion stellen, wo die Herren der Ringe noch bis Ende kommender Woche allabendlich gastieren werden. Falls Sie oder Du auch mal vorbeikommen – die ersten fünf LeserInnen, die mir am angestammten Ringplatz die Parole „Dem Harten hart/dem Zarten zart“ zuraunen, werden mit einem garantiert nicht fernsehbeworbenen, leckeren Bier belohnt von

Ulrich „Bigboy“ Reineking