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Uralt-Abfall, Gold wert

■ Im Focke-Museum: Funde aus Abfallschächten des 15. und 16. Jahrhunderts

„Goldgräber“ nannte man im 15. und 16.Jahrhundert die Latrinenausleerer: Mit Winde und Ledereimern kamen sie angerückt, wenn die bis zu drei Meter tiefen Abfallschächte hinter den Bremer Bürgerhäusern mit Müll und Kot und geruchsstoppendem Torf bis zum Rand gefüllt waren. Sie luden die Jauche auf einen Karren und vergruben sie irgendwo vor der Stadt, und Gold fanden sie dabei natürlich nicht, oder doch nicht häufiger, als unsereiner einen Zehner auf dem Diskoklo.

Dafür aber ließen die Dreckarbeiter etwas zurück, das heute in den Augen von Landesarchäologen Professor Manfred Rech durchaus Gold wert ist: Bei Bauarbeiten in der Ansgaritorstraße wurde ein alter Abfallschacht entdeckt, ursprünglich zu einem gutbürgerlichen Haushalt gehörend, und unter den „jungverfüllten“ Schichten befand sich noch ein vierzig Zentimeter hoher Kloakenrest aus dem 16. Jahrhundert. Der ist durch die Siebe des Ausgrabungsteams gegangen, und was darin hängenblieb, ist nun im Focke-Museum zu sehen und zeigt uns einen Ausschnitt Altbremer Stadtlebens.

Nicht nur konnte man aus unverdauten Körnerresten auf die Eßgewohnheiten der mittelalterlichen BremerInnen schließen (Dinkel haben sie gegessen und Hirse, Haferbrei, Roggenbrot und ein Getreide, das heute schon verschollen ist, Emmer, eine primitive Weizenart). Es fanden sich auch „zerscherbte“ Reste des entsprechenden Eßgeschirrs, blau- graue „Irdenware“, die jetzt von der Restaurateurin Gütha Klonk in Fitzelarbeit zusammengesetzt wurden.

So mancher Säuglingsmord käme womöglich ans Licht

Und nicht nur das. Ein wunderschönes sechseckiges Stangenglas, von einem betrunkenen Hausherrn vor 400 Jahren fallengelassen (vielleicht war es so), landete im Abfallschacht, ebenso ein Rippenglas, einstmals aus Venedig importiert.

Professor Rech, befragt, ob es ihn nicht deprimiere, immer nur einen Haufen unvermeidlich unvollständiger Scherben zu finden, verneint sofort. Ihn interessiert das Woher und Wozu der Gegenstände, die Form und Häufigkeit des Vorkommens, „ungestörte“ Funde gebe es nur in Gräbern.

Zerbrochene Knochenwebkämme oder Daubenschälchen (kleine Eßschälchen aus Holz, im Klima des Abfallschachtes so gut erhalten, wie sonst nur im Moor die Moorleichen — sic!) oder Knöpfe aus Ziegenhörnern samt dem unbrauchbaren Zipfel des Ziegenhorns — alles das sind Hinweise auf die Alltagskulturgeschichte einer Stadt.

Die Funde aus der Ansgaritorstraße sind nur ein winziger Ausschnitt dessen, was in Bremen zu finden sein könnte. Der Professor bedauert das mehrmals und weist immer wieder auf Städte wie Lübeck, Braunschweig und Lüneburg hin, in denen umfassende Stadtarchäologie betrieben werde. Fast alle norddeutschen Bürgershäuser des 15. und 16. Jahrhunderts besaßen ja erstaunlicherweise schon die fortschrittlichen Abfallschächte, die mit dem ungesunden Straßenmüll Schluß gemacht hatten. Jede städtische Baustelle stößt darauf und zerstört sie zugleich, wenn keine Museumsaufsicht einschreitet.

Auf diese Weise entgeht den BremerInnen auch die eine oder andere Gruselgeschichte: Bei Ausgrabungen in Abfallgräben kam schon so mancher Säuglingsmord spät ans Licht. Auch abgehackte Hände und Füße, wenn um die Ecke der Scharfrichter seines Amtes gewaltet hatte und die Einzelteile den Transport zum Schaffottplatz nicht lohnten.

In Bremen ging es bisher harmloser zu. Oberflächlich gesehen. Cornelia Kurth

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