Unwetter im Südwesten: Kanzler in Kleinblittersdorf
Olaf Scholz besucht mit Ministerpräsidentin Anke Rehlinger die Hochwassergebiete im Saarland und sichert Hilfe zu. Überflutungen gibt es auch in Rheinland-Pfalz.
Das Geschehene sei „ein Aufruf zur Solidarität und das wird auch so sein“, sagte Scholz im saarländischen Kleinblittersdorf. Aktuell stehe die akute Hochwasserhilfe im Vordergrund, danach werde es weiter „darum gehen, dass man verabredet, was man tun kann“. Hier könnten sich „alle darauf verlassen, dass das im besten Sinne geschieht“. „Wir haben da eine gute Praxis der Solidarität.“
Der Kanzler zeigte sich bei dem Besuch beeindruckt davon, „welche Gewalt die Natur hat“. Es sei wichtig, sich „immer wieder auf solche Ereignisse vorzubereiten“. Scholz lobte die gute Zusammenarbeit der Einsatzkräfte und auch zahlreicher ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer: „Auf so etwas werden wir immer wieder angewiesen sein.“
Rehlinger verwies auf noch in der Nacht gefasste Beschlüsse der saarländischen Landesregierung, betroffenen Bürgerinnen und Bürgern sowie Kommunen Unterstützung zu gewähren. Auch sie dankte für die „unfassbare Einsatzbereitschaft“ auch vieler Ehrenamtlicher: „Wir können nur stolz sein auf so viel Tatkraft.“ Ebenso dankte sie der Bundespolizei für deren Unterstützung.
Die Lage beschrieb Rehlinger weiterhin als schwierig, auch wenn der Regen nachgelassen habe. „Das Saarland befindet sich seit rund 36 Stunden im Ausnahmezustand“, sagte die Ministerpräsidentin. Es herrsche „die schwierigste Lage seit dem Jahrhunderthochwasser vor 30 Jahren“. Auch sei vielerorts die Gefahr noch nicht vorbei. Eine eigentlich mit Scholz und Rehlinger sowie der SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, geplante Wahlkampfveranstaltung in Saarbrücken wurde wegen des Hochwassers abgesagt.
Mehr als 3000 Polizei- und Rettungseinsätze im Saarland
Heftiger Dauerregen hatte in dem kleinen Bundesland im Westen Deutschlands am Freitag Überflutungen und Erdrutsche verursacht. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hob am frühen Samstagmorgen alle Unwetterwarnungen in Deutschland auf. Somit lagen im Saarland und auch in Rheinland-Pfalz keine Warnungen vor „extrem ergiebigem Dauerregen“ mehr vor, wie der DWD mitteilte.
Am Freitag und auch noch in der Nacht zum Samstag kämpfte fast das ganze Bundesland mit den Wassermassen. Auf Videos waren zur Hälfte überschwemmte Autos, im Hochwasser feststeckende Wohnwagen und zahlreiche überflutete Straßen zu sehen. Gebäude wurden notdürftig mit Sandsäcken geschützt, teilweise stehen ganze Straßenzüge unter Wasser
Nach bisherigen Kenntnissen sind bei dem schweren Unwetter keine Menschen ums Leben gekommen. Bei einer Evakuierungsaktion habe es einen Verletzten gegeben, sagte ein Sprecher des Lagezentrums in Saarbrücken. Ein Mensch sei ins Wasser gefallen und anschließend in ein Krankenhaus gebracht worden.
Das Lagezentrum registrierte bislang mehr als 3000 Polizei- und Rettungseinsätze im gesamten Bundesland. Die Zahlen stammen vom frühen Samstagmorgen.
In der Altstadt des saarländischen Ottweiler musste in der Nacht zum Samstag vorsorglich der Strom abgeschaltet werden, wie ein Sprecher des Innenministeriums sagte. „Wir haben hier eine Großschadenslage“, sagte der Landrat des Landkreises Neunkirchen, Sören Meng, in einem Video auf Facebook. „Die Folgen für den Landkreis sind sehr groß. Es sind fast alle Städte und Gemeinden betroffen.“ In Rußhütte, einem Stadtteil der Landeshauptstadt Saarbrücken, wurden die Menschen mit Amphibienfahrzeugen und Booten evakuiert. Ein Straßenzug sei hier besonders betroffen gewesen, sagte der Sprecher des Innenministeriums.
Wegen des Unwetters meldete die Deutsche Bahn massive Beeinträchtigungen und Ausfälle im Zug- und Schienenersatzverkehr in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Von nicht notwendigen Reisen ins Saarland sei abzusehen, teilte die Bahn mit. Aufgrund der Witterungsbedingungen könne kein Ersatzverkehr eingerichtet werden.
Altstadt von Blieskastel droht Überschwemmungsgefahr
In saarländischen Völklingen sind wegen des anhaltenden Regens Straßenzüge vom Stromnetz genommen worden. „In Völklingen werden Schäden in Millionenhöhe erwartet, insbesondere im privaten Bereich“, hieß es. „Das Schadensausmaß ist nicht noch absehbar.“
Es handele sich um ein Hochwasserereignis, wie es alle 20 bis 50 Jahre stattfinde, teilte das Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz mit. An der Unteren Blies rechnete das Amt noch bis zum Samstagnachmittag mit weiter ansteigenden Wasserständen. Deshalb bleibt die Lage in Blieskastel angespannt. Zahlreiche Helfer versuchen, eine Überschwemmung der Altstadt von Blieskastel zu verhindern.
Der DWD maß stellenweise mehr als 100 Liter Regen pro Quadratmeter in nicht einmal 24 Stunden. Für diesen heftigen Regen seien Flüsse und Infrastruktur nicht ausgerichtet, sagte eine DWD-Meteorologin am Freitagabend. Zum Vergleich: Im gesamten vergangenen Monat April waren im Saarland rund 74 Liter Regen pro Quadratmeter gemessen worden – und dies war ein Sechstel mehr Niederschlag als normalerweise in dem Monat.
Die Landeshauptstadt Saarbrücken rief ebenso wie mehrere Kreise eine Großschadenslage aus. Mehrere Gebäude im Stadtgebiet mussten evakuiert werden. Die Stadt richtete Ausweichquartiere in Schulen und ein Bürgertelefon ein. „Wir haben überall Evakuierungen“, sagte ein Sprecher des Lagezentrums in Saarbrücken. „Es regnet überall, landesweit.“
Volle Keller und Straßen in der Südpfalz und Trier
Im benachbarten Rheinland-Pfalz waren am Freitag vor allem der Landkreis Trier-Saarburg mit den Verbandsgemeinden Ruwer und Saarburg-Kell sowie die Südpfalz und die Städte Trier, Zweibrücken, Pirmasens und Ludwigshafen von dem Dauerregen betroffen. Keller und Straßen liefen voll und Bäume stürzten um, wie die Koordinierungsstelle der Aufsichts- und Dienstleistungsbehörde (ADD) berichtete. Verletzt wurde nach derzeitigem Kenntnisstand niemand. Viele kleinere Bäche und Flüsse traten über die Ufer.
Die Evakuierung der tiefer gelegenen Ortsteile in Schoden an der Saar war bis zum frühen Samstagmorgen erfolgreich abgeschlossen. 220 Menschen wurden laut Kreisverwaltung in einer Turnhalle untergebracht. In Saarburg wurde außerdem ein Seniorenheim evakuiert, in Trittenheim an der Mittelmosel ein Hotel. Davon waren etwa 50 Menschen betroffen, die ebenfalls in einer Turnhalle untergebracht wurden. Der Wasserstand der Saar war zuvor wegen des Dauerregens so stark gestiegen, dass eine Überflutung des Uferdamms befürchtet wurde. Mit Sandsäcken wollten Helfer versuchen, den Damm zu stabilisieren. „An fast allen Orten entlang der Saar sind Straßen und Gebäude überspült, in vielen Gemeinden treten kleinere Gewässer über die Ufer“, teilte die Kreisbehörde mit.
In Trassem im gleichen Kreis wurden drei Menschen, die wegen des Hochwassers in ihren Häusern eingeschlossen waren, von den Rettungskräften befreit. Das teilte der Landkreis Trier-Saarburg auf X mit. In Trassem hätten sich zudem mehrere Bewohner in ihren Häusern verschanzt, hieß es. „Es wird dringend davon abgeraten, sich etwaigen Evakuierungsaufforderungen der Einsatzkräfte zu widersetzen, dies kann lebensbedrohliche Folgen mit sich ziehen, die Pegel steigen weiterhin an“, teilte der Kreis mit.
Dreyer will Hochwassergebiete in der Südwestpfalz besuchen
Am Samstagnachmittag wollte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) die Hochwassergebiete im Kreis Südwestpfalz besuchen. Das teilte die Staatskanzlei am Samstag in Mainz mit. Begleitet wird sie von Innenminister Michael Ebling (SPD) und Umweltministerin Katrin Eder (Grüne). Geplant seien Gespräche in Zweibrücken, Contwig und Trier-Saarburg.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dankte den Kräften von THW, Polizei und Feuerwehr auf X. „Großer Respekt und Dank an alle Einsatzkräfte für ihren unermüdlichen Einsatz, um Menschenleben zu schützen!“, schrieb sie. Auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zeigte Mitgefühl am späten Freitagabend auf X: „Bin wie viele heute Abend in Gedanken bei den Menschen in den Hochwassergebieten und den Helfern, von denen viele die ganze Nacht im Einsatz sein werden. Ich hoffe, alle kommen sicher durch die nächsten schlimmen Stunden. “
Von Unwetterschäden betroffen sind auch weitere Gebiete Südwestdeutschlands sowie in Frankreich und Luxemburg.
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