: „Unverkrampfte“ Vaterlandsliebe
betr.: „Wenn die Nationalhymne erklingt, stehe ich auf. Das reicht“, Interview mit Gregor Gysi, taz vom 22. 6. 06
Aha, also nicht Kommunismus und Nationalismus waren totalitär, sondern Antikommunismus und Antinationalismus. Toll, Herr Gysi! Das Interview mit Gysi spiegelt eigentlich wieder, was mich seit fünf Jahren hier (so lange lebe ich jetzt in Deutschland) nervt: der Ruf nach einem „normalen“ Nationalismus, den die ach so armen Deutschen bisher nicht ausleben dürfen. Sorry, ich finde auch den „normalen“ Nationalismus scheiße, und brauche keine Fahne, um jemand zu sein. Ich Totalitärer.
Das Beispiel mit Frankreich (wo ich 98 auch die WM miterleben durfte) hinkt im Übrigen: Da war die Stimmung bis etwa zum Viertelfinale eher von Hohn und Spott über die Nationalelf geprägt – erst nach dem WM-Sieg entwickelte sich dort das große Fahnenmeer.
Ein gesunder Patriotismus ist der, den hier die Polen vorgeführt haben: Im Gegensatz zu den Deutschen haben sie die Hymne nicht mitgesungen, sonder stattdessen immer laut alle polnischen Politiker ausgebuht, wenn die mal kurz im Bild waren. Dafür konnten sie sich dann von ein paar deutschen Fans, neben geschätzten 500-mal „ihr könnt nach Hause fahren“ auch „Nieder mit der Polenpest“ oder „Schlagt die Polen tot“ anhören. Aber das ist dann wohl „unverkrampfte“ Vaterlandsliebe. FREDERIC KRIER, Frankfurt (Oder)