PORTRAIT: Unterstützung für Blüms Gesundheitspolitik
■ Horst Seehofer (CSU) wird Gesundheitsminister/ Vorschußlorbeeren auch von der SPD und der AOK
Berlin (taz) — Gute Noten bekommt der neue Mann im Bundesgesundheitsministerium von allen Seiten. „Ein eindeutiger Sozialpolitiker, sehr intelligent und ohne Zweifel ausgesprochen kenntnisreich“, beurteilte gestern der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Dreßler den CSU-Mann. „Sympathisch, konzeptionell denkend und von großer Durchsetzungskraft“, beschreibt ihn Koalitionspartner Dieter-Julius Cronenberg, der bei der FDP für Sozialpolitik zuständig ist. Und auch die von der Kostenexplosion im Gesundheitswesen arg gebeutelten Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) hoffen auf ihn: Seehofer hat als Staatssekretär in Blüms Arbeitsministerium maßgeblich an der Gesundheitsreform mitgearbeitet.
Sein Wechsel auf den Ministersessel im Gesundheitsministerium könnte die gescheiterten Pläne doch noch vorantreiben. Die Krankenversicherung, die nach der letzten Bundestagswahl aus dem Zuständigkeitsbereich des Arbeitsministers herausgenommen und in die Verantwortung des Gesundheitsministeriums gelegt wurde, wird durch Seehofer wieder näher an die Sozialversicherung herangeführt, hofft AOK- Sprecher Udo Barske. Applaus für die Entscheidung war denn auch aus dem Arbeitsministerium zu vernehmen, das in Seehofer einen aktiven Mitstreiter für Blüms Pflegeversicherungsmodell haben wird.
Der 42jährige Seehofer stammt aus einer katholischen Arbeiterfamilie, wie er stolz betont. In seiner Heimatstadt Ingolstadt wurde der Beamte aus dem Landratsamt 1980 in den Bundestag gewählt. Schon auf der Oppositionsbank engagierte er sich als Sozialpolitiker und avancierte 1984 zum sozialpolitischen Sprecher der CSU-Landesgruppe. Nach der letzten Bundestagswahl bekam der 1,92-Meter-Mann dann einen Schreibtisch als Staatssekretär im Arbeitsministerium.
Die hochgesteckten Erwartungen zu erfüllen wird für Seehofer mehr als schwierig werden: Schon Norbert Blüm hat sich nicht gegen die Lobbys von Pharmaindustrie und Ärzteschaft durchsetzen können. Nicht nur, daß seine Reformvorschläge von der Koalition stark verwässert wurden; auch bei der Durchführung klemmt es. Nach wie vor sind nur für etwa 40 Prozent der Arzneimittel Festbeträge vereinbart worden, die den Phantasiepreisen der Pharmaindustrie einen Riegel vorschieben sollen. 150 Milliarden Mark mußten die gesetzlichen Krankenkassen letztes Jahr an die Ärzte, Krankenhäuser und Arzneimittelhersteller überweisen — rund zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor. Der weitere Griff in die Tasche der Kranken hatte keineswegs den Effekt, daß weniger verschrieben oder weniger Zahnkronen eingesetzt wurden.
Daß Seehofers Vorgängerin Gerda Hasselfeld sich nicht durchsetzen konnte, ist indes nicht nur ihrer zögerlichen Haltung anzulasten. Sie ging der Konfrontation mit den Interessenverbänden konsequent aus dem Weg. Regierungschef Kohl hatte sie mit einer schier unlösbaren Aufgabe betraut: sie sollte einerseits für stabile Beitragssätze der Versicherten sorgen, andererseits sich aber auch nicht mit den Leistungsanbietern anlegen. Wenn Seehofer es nicht gelingt, seine Arbeitsplatzbeschreibung zu verändern, wird er trotz seiner größeren Kompetenz ebenfalls scheitern. Auf seinem Arbeitsplan ganz oben muß jedenfalls die Strukturreform der Krankenkassen stehen: denn hierin liegt ein wichtiger Schlüssel für eine tatsächliche Begrenzung der Ausgaben im Gesundheitswesen. Annette Jensen
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