Unternehmen versprechen Klimaneutralität: Grüne Nullnummer

Mehr und mehr Firmen setzen sich das Ziel, klimaneutral zu werden. Jedoch rechnen viele sich schön, zeigt ein Bericht.

Viele leere Versprechungen. Auch mit dieser Raffinerie in Norco, Lousiana, setzen die USA weiter auf fossile Energien.

Leere Versprechen: Mit dieser Ölraffinerie setzen die USA weiter auf fossile Energien Foto: Shannon Stapleton/rtr

BERLIN taz | Das Gesetz sei „historisch“, sagte US-Präsident Joe Biden am 17. August, als er feierlich in einer Zeremonie das „Inflationsreduzierungsgesetz“ unterschrieb. Für diesen politischen Triumph hatte Biden seinen Urlaub unterbrochen, denn er ist innenpolitisch für seine Demokraten ein großer Sieg. Aber auch das Weltklima werde profitieren, hieß es in Washington. Denn die Norm garantiert Investitonen in saubere Energie und Klimaschutz von etwa 375 Milliarden Dollar im kommenden Jahrzehnt, sichert als Gesetz das Vorhaben des US-Parlaments ab und gibt vor allem ein großes Versprechen auf die Zukunft: Mit der im Gesetz angelegten Reduktion der Emissionen um etwa 40 Prozent bis 2030 bleibt das große grüne Ziel von Joe Biden in Reichweite: die USA bis 2050 zum Null-Emissionsland zu machen.

UN-Generalsekretär António Guterres ist bei diesem Thema allerdings deutlich kritischer: Pläne für neue fossile Infrastruktur irgendwo auf der Welt seien angesichts der Klimakrise eine „Wahnvorstellung“, sagte er Mitte Juni beim „Austrian World Summit“ in einer Videobotschaft.

Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssten die weltweiten Emissionen bis 2030 um 45 Prozent fallen und 2050 bei Null ankommen. „Aber die momentanen Verpflichtungen werden bis 2030 zu einem Anstieg um 14 Prozent führen“, so der UN-Chef. „Deutlich gesagt: Die meisten nationalen Verpflichtungen sind einfach nicht gut genug.“

Bidens neues Gesetz verbessert diese Bilanz – aber nur ein wenig. Denn wie leer bisher weltweit noch viele Versprechen zum Thema Klimaneutralität sind, untermauert ein Überblick des „Net Zero Tracker“, der im Juni auf der UN-Klima-Zwischenkonferenz in Bonn vorgestellt wurde. Die Übersicht ist eine Datensammlung über etwa 4.000 Staaten, Unternehmen, Regionen und Städte. Viele haben inzwischen eigene „Netto-Null“-Ziele verkündet, doch sehr häufig sind diese Ankündigungen wenig glaubhaft. „Die Zahlen sind gestiegen, es gibt immer mehr Verpflichtungen“, sagte Takeshi Kuramochi vom Thinktank NewClimate Institute, einer der Autoren, „aber das allgemeine Bild bleibt trüb“.

Netto-Null-Ziel wird unterschiedlich ausgelegt

Nach der Zählung des „Net Zero Tracker“ ist es groß in Mode gekommen, sich ein Ziel zur Klimaneutralität zu geben. So haben inzwischen 1.180 dieser über 4.000 Akteure Pläne für ihre ganz eigene grüne Null. Seit Dezember 2020, als das Register mit der Arbeit begann, hat sich die Zahl der Unternehmen mit solchen Plänen aus der Forbes-Liste der 2.000 größten Aktiengesellschaften von 407 auf 702 erhöht – „allerdings entsprechen 65 Prozent davon noch nicht den Minimalanforderungen an die Berichterstattung“, heißt es. Das sind Kriterien, die das völlige Greenwashing bei diesen Selbstverpflichtungen verhindern sollen: eine transparente öffentliche Planung, sofortige CO2-Reduktion, jährliche Bilanzierung und vor allem echte CO2-Reduktion und kein Hauptgewicht der Klimapläne auf „Offsetting“, also dem rechnerischen CO2-Ausgleich etwa durch Baumpflanzen.

Das Thema wird unter ExpertInnen immer wieder debattiert: Was genau ist eigentlich dieses Ziel einer klimapolitischen Nullnummer? Schon vor einigen Jahren monierte etwa der britische Regierungs-Thinktank Carbon Trust, es fehle an einer allgemein gültigen Definition, was „Netto-Null“ für Staaten oder Unternehmen eigentlich konkret bedeute.

Mehr als Hälfte der globalen Konzerne haben keine Ziele

Die gute Nachricht liegt laut Bericht in der weltweiten Verbreitung und der allgemeinen Akzeptanz des Ziels der grünen Null. 65 Prozent der weltweiten Emissionen unterliegen demnach inzwischen nationalen Plänen zur Klimaneutralität, 2020 waren das nur 10 Prozent. Inzwischen haben 128 Länder solche Null-Pläne, die Zahl der Städte damit hat sich auf 235 verdoppelt, die meisten davon im Globalen Norden.

Aber die Schattenseiten seien auch deutlich, betonten die AutorInnen. Mehr als 900 große Städte haben keine solchen Ziele, ebenso wenig wie etwa die Hälfte der „Forbes Global 2000“-Konzerne. Und die meisten der Firmen mit ehrgeizigen Vorgaben zählen nur die Emissionen der Zulieferer und der eigenen Produktion und verschweigen die CO2-Emissionen, die ihre Produkte verursachen (Scope 3). „Die Frage an die Unternehmen sieben Jahre nach dem Pariser Abkommen ist: Wenn ihr jetzt keine Ziele habt, wann dann?“, fragte Autor Thomas Hall von der Universität Oxford. Im Gegensatz zu den Zielen der Staaten, die fast alle Emissionen aus allen Sektoren der Wirtschaft abdecken, „sind Umfang und Robustheit der Ziele von nichtstaatlichen Akteuren alarmierend schwach und sehen sich größeren Fragen nach ihrer Glaubwürdigkeit gegenüber“, heißt es in dem Bericht.

Öffentlicher Druck wächst

Unter den am meisten vertretenen Gruppen mit Netto-Null-Zielen sind laut Tracker „interessanterweise“ die großen CO2-Sünder: Öl- und Gaskonzerne, Stahl und Zement, Airlines und Schifffahrtindustrie. „Das deutet darauf hin, dass Konzerne mit hohen CO2-Emissionen und einem Blick auf ihren guten Ruf eher dazu neigen, symbolische Netto-Null-Ziele zu beschließen“, sagte Richard Black von der britischen NGO Energy and Climate Intelligence Unit, ebenfalls am Tracker beteiligt. „Allerdings haben sie keine detaillierten Pläne, ihre Ziele zu erreichen. Oder im schlimmsten Fall ist das einfach Greenwashing.“

Um dem zu begegnen, hat UN-Generalsekretär Guterres schon vor Monaten eine eigene Expertengruppe eingesetzt. Seine „High Level Expert Group“ soll starke Standards entwickeln, nach denen die Schwemme von Klimazielen sortiert werden kann. Die AutorInnen des „Net Zero Tracker“ sehen zumindest zunehmenden öffentlichen Druck auf Staaten, aus unverbindlichen Netto-Null-Zielen scharfe Gesetze zu machen.

Und Guterres selbst hat in seiner Rede in Wien den Staaten fünf konkrete Forderungen präsentiert, um die globale Energiewende voranzutreiben: Grüne Energien zu globalen Gemeingütern zu machen und Patente auf sie abzuschaffen; die Lieferketten für nachhaltige Energien offener zu machen; die Bürokratie abzubauen, die „Gigawatt von erneuerbaren Projekten bremst“; fossile Subventionen abzubauen und global die Investitionen in Erneuerbare zu verdreifachen. Alles konkrete Projekte, die schnelle Emissionsreduktionen bringen könnten – im Gegensatz zu den unverbindlichen und laut erklärten Net-Zero-Verpflichtungen.

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