piwik no script img

Unterm Strich

Theater ums Theater sind wir ja in der Zwischenzeit gewöhnt. In Berlin zum Beispiel gibt es Gerangel um die Verträge des Bremer Choreographen Johann Kresnik und seines Ensembles. Die sind nämlich zur Chefsache erklärt worden. Bereits im Juni hatte der Berliner Senat beschlossen, Kresnik, neben Pina Bausch der bedeutendste deutsche Choreograph, an die Volksbühne zu holen. Im Zuge der Haushaltsdebatten sprach sich die CDU-Fraktion bei einer Klausurtagung jüngst gegen das Engagement aus. Ob hier wirklich ein Sinneswandel vorliegt und ob er mit dem Mißmut zusammenhängt, der wegen einer Äußerung Kresniks nun auch die SPD ergriffen hat, wagen wir abschließend nicht zu beurteilen. Der hatte in einem Interview gesagt: „Ich kann Arbeitslose, Skins und Neonazis verstehen und würde auch Häuser anzünden, wenn ich in ihrer Situation wäre.“ Dieser Satz wurde aus dem Zusammenhang gerissen in der BZ wiedergegeben und rief Hinterbänkler samt Rechtsradikalismusvorwürfe auf den Plan. Innensenator Heckelmann weigerte sich darob, zu unterschreiben. Er, Berlins Regierender Diepgen und Kultursenator Roloff-Momin treffen sich in den nächsten Tagen zu einem klärenden Gespräch. Der Chefdramaturg der Volksbühne, Matthias Lilienthal, bezeichnet die Verzögerung als eine „Katastrophe“, und aus Bremen läßt Kresnik wissen, daß das Theater spätestens am 19.Oktober beendet sein müßte. Dann nämlich müßte er in Bremen kündigen.

Längst gewöhnt haben wir uns auch an die immer perfider, dabei nicht unbedingt subtiler werdenden Werbetricks im, um und ums Theater herum. Der Cognac-Hersteller Rémy-Martin (nein, das ist nicht der, der immer mit seinem Vater oder verkleideten Menschen auf seinem Wohnzimmersofa sitzt) schwappt voll ins Kulturelle und hat zusammen mit dem Zeitgeist-Magazin Wiener die Initiative „Rémy Shooting Star des Jahres“ gegründet. Die mit 15.000 Mark dotierte Auszeichnung wurde jetzt dem Berliner Theater(!)regisseur(!!) Leander Haußmann verliehen. Der sieht sich zwar selbst nicht (!) als „neuer Hoffnungsträger des deutschen Theaters, aber er krempelt das Theater um, indem er auf der Bühne einfach nur Geschichten erzählt. Wie im Western. Oder im Comic.“ Oder auf dem Wohnzimmersofa.

Relativ ungewohnt sind hingegen noch Spendenaktionen im Theaterbereich. Das Berliner Ensemble stellte den Erlös einer Benefizvorstellung des Stücks „Der Kaufmann von Venedig“, einem Gastspiel des Wiener Burgtheaters in der Regie von Peter Zadek, der Jüdischen Gemeinde Berlin zur Verfügung. Gestern überreichte Eva Mattes deren Vorsitzendem Jerzy Kanal in Vertretung für das Berliner Ensemble einen Scheck über 74.000 Mark. Das Geld ist für jüdische Emigranten aus der GUS bestimmt. Daran könnten wir uns gewöhnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen