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Unterm Strich

Jetzt geht das schon wieder los: Der Reichstag soll nach erneuten Bittgesuchen durch Berliner Politiker vom Ältestenrat des Deutschen Bundestages am Donnerstag endlich zur Verhüllung freigegeben werden. Da kann eigentlich nur Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer, der als Kultus- Imperator bereits zur 750-Jahr-Feier in den Fußstapfen Jack Langs versank, dahintergestanden haben. Dieser unermüdliche Klinkenputzer im Auftrage des Herrn Cristo appellierte an das sozusagen geschäftsführende Organ des Bonner Parlaments, „diese großartige Chance jetzt zu ergreifen“. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen fänd's mittlerweile prima. Seiner Meinung nach würde das Kunstprojekt in die Zeit und die Landschaft passen und sei auch für Touristen sehr interessant. Doch eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als daß der Prophet zum Berg kommt. Und Christo nimmt den Verhüllungs-Zirkus gelassen: Inzwischen plant er, StadtLandFluß rund um den Colorado River zuzudecken.

In entgegengesetzter Richtung rechnen sich übrigens Archäologen Chancen für die Zukunft Berlins aus. Alfred Kerndl, Leiter des archäologischen Landesamtes Berlin, vermutet, daß der Ausbau des Stadtkerns wahre Herrlichkeiten unter dem Asphalt ans Licht bringen wird – aber auch Erinnerungen an dunkelste Kapitel deutscher Geschichte. Unter dem ehemaligen Aufmarschplatz der SED-Zeit, dem Marx-Engels-Platz, liegt womöglich nicht der Strand, sondern das Stadtschloß, zumindest in seinen Fundamenten. Damit nicht genug: Noch ein wenig tiefer sollen in den untergebuddelten Trümmern der nach dem Krieg gesprengten Kaiserresidenz Überreste eines Dominikanerklosters aus dem 13. Jahrhundert und der späteren Schloßkirche mitsamt der früheren Hohenzollern-Gruft ruhen. Und was findet man, bitteschön, wenn man weitergräbt? Trias? Perm? Oder gar einen kompletten Jurassic-Park? Ist das nicht ein bißchen zu weit in die falsche Richtung gegraben? Also, wenn man beim Graben unter Berücksichtigung der ekliptischen Form der Erde (von wegen Kugel, Kreis oder Scheibe) nach ungefähr 12.700 Kilometern auf der anderen Seite rauskommt, dann befindet man sich Pi mal Daumen mal Erdbewegung ungefähr zwischen Samoa und den Galapagos- Inseln, in jedem Fall aber mitten auf dem Pazifischen Ozean.

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