: Unterm Strich
Zurück in Berlin stellt man eher betrübt fest, daß auf dem brachliegenden Areal am Potsdamer Platz im Sommer roter Klatschmohn blühen wird. Sechs Kilo staubfeinen Saatguts — das sind etwa 43 Millionen Samenkörner — wurden am Wochenende auf eine Fläche von 35.000 Quadratmetern geschüttet. Nein, denken Sie nur nichts Falsches über den schleichenden Untergang der Stadt: Das ist nicht die Vorhut einer sowjetischen Blütenflut oder gar afghanischer Mohn, der da als H-Bombe an Jelzins Rücken vorbeigeschleust wurde. Das ist Kunst. Jan Kopp und Richard Müller betrachten die demnächst grüne Wiese als ein symbolisches Objekt, für Entstehen und Vergehen, Geschichte und Verfall, für Mauerbau und Sony-Bau.
In der Gemäldegalerie Kassel tropft Wasser von der Decke, und im Mainzer Landesmuseum zieht es derweil kalt die Füße hinauf. Schuld daran ist die defekte Bodenheizung des Hauses, sagen die einen. Schuld daran ist die falsche Planung von Museen und die Technikgläubigkeit im Allgemeinen, sagen die anderen. Also wurde auf der Jahrestagung des Deutschen Restauratoren-Verbandes über den Verfall deutscher Museen debattiert. „Museen werden gebaut wie Kaufhäuser“, beklagte der als Redner geladene schweizer Restaurator Volker Schaible aus Bern. Da nützen große Klimaanlagen praktisch gar nichts. Statt öffentliche Sammlungen also mit einer Vielzahl von Wächtern auszustatten, solle man lieber ganz auf deren Präsentation verzichten. Mit noch größerem Argwohn wird allerdings der ständig anwachsende Leihverkehr bei Bildern im Zusammenhang mit großen Wander-Retrospektiven betrachtet. Der „Ausstellungstourismus“ schade den Kunstwerken durch Vibrationen, falsche Lagerung und mangelnde Professionalität beim Aufbau. Begehrte Bilder, die ständig auf Wanderschaft sind, alterten deutlich schneller. Fragt sich, ob Schaible schon einmal im Guggenheim-Museum von Venedig gewesen ist? Dort altern die Bilder der Moderne nämlich noch viel schneller als die alten Ölschinken in den zahlreichen Kirchen der Lagunenstadt — und nicht einmal aufgrund der würzigen Seeluft, die aus der Adriabucht herüberweht. Das unaufhaltsam sich ausbreitende Krakelee-Geflecht der Picassos und Miros hat ganz andere Gründe. Die Bilder sind einfach ein bißchen nachlässig, um nicht zu sagen schlampig gemalt, schlecht gefirnißt und mangelhaft grundiert. Noch schlimmer bröckeln schon die Neuen Wilden. Am Ende ist womöglich die ganze Moderne nicht sonderlich haltbar gewesen.
Aber wir wollen keine Spielverderber sein. Erstaunlicherweise hat sich in diesem Jahr die Art Frankfurt mit Verkäufen bis zu rund einer halben Million Mark, dazu „nicht wenigen Reservierungen im sechsstelligen Bereich“ (entnehmen wir dem Rund- Fax) und einer Zahl von über 21.000 Besuchern neben der Kölner und Basler Messe etablieren können.
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