piwik no script img

Unterm Strich

Der tägliche Christo gleich mal vornemangweg: Diesmal nicht als investigative Kurzreportage von direkt vor Ort („Reichstag als ,gotische Kathedrale‘ – Ungebremste Spannung“ von dpas Irma Weinreich), auch nicht als kulturhistorische Betrachtung („Des Reichstags neue Kleider“ von Hans-Jürgen Moritz) oder sonstwie agenturmäßig („Verhüllt und verschnürt – der Reichstag als Märchenschloß“ – „Letzte Seile um Türme geschlungen – Zehntausende von Zuschauern – Brandpfeil richtet Schaden an“ – „Polizei geht gegen Straßenhändler am Reichstag vor“ – „Süssmuth und Diepgen danken Christo – Diepgen: Christo und Jeanne-Claude haben Reichstag zu einem Monument gemacht“ – „Christo – ein großes Dankeschön aus Berlin“ – „Letzte Arbeiten am Reichstag, die Letzte“ – „Rückblick: Beinahe hätte ein Turmfalke das Projekt verhindert“) unter den Strich gehievt, sondern als Originalbeitrag. Leser Rudolf M. Schoen hat ein Gedicht namens „Verhüllter Reichstag“ geschrieben, das wie folgt geht: „wer ihn nicht sieht, / kann es nicht fassen, / wird sich auch nie / verführen lassen. // Vorhang runter, Vorhang auf / Decke rüber, Deckel drauf. // Da stimmt fast alles, / der Inhalt schimmert, / die Bonbonniere glänzt. // Mit Erlaub' und mit Vergnügen / wollen wir Salto rückwärts üben, / zirzensisch zelebriert. // Nur der Ketzer denunziert / dieses Spiel der Kunst / als längst gelebtes Leben. // Was bleibt, ist 'ne Melange / aus Zeitgeist und Erfolg: // Die ,Paarung‘ demonstriert / großartige Verführungskünste / und zeugt weltweite ,Strahlung‘. // Ein virtueller Hochseilakt, / verhülltes Doppelspiel. / Und jedermann frohlockt – / Das ist das Ziel. / ,Schaut her: er glänzt ... / er glänzt sooo schön.‘“ Wir danken und ermutigen zur weiteren Auseinandersetzungen mit dem Thema.

Auch sonst lebt die Avantgarde: Bei den „Stelzenfestspielen bei Reuth“ im Vogtland kam es zu einer Klangperformance, in der neben Viola, Fagott, Baß etc. auch Traktor, Heuwender und Sämaschine zum Einsatz kamen. Am vergangenen Freitag war das; Titel der umjubelten Uraufführung: „Landmaschinensymphonie ST 302“. „Autoren“ sind die „ländlichen Komponisten“ Erwin Stache und Henry Schneider, die auch ein Statement abgaben: „Wir möchten, daß sie ein wenig verrückt und ein wenig aus dem Alltag verschoben werden.“ Könnte von Christo sein.

Jetzt aber mal ernsthaft hier: Al Hansen, Großvater des im letzten Jahr emporgekommenen Popstars Beck (ergänze: Hansen) ist in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag im Alter von 67 Jahren gestorben. Herzversagen. Hansen, Schüler von John Cage, war mit seinen intermediären Aktionen, den Performances, Happenings und Filmen einer der letzten der einst ruhmreichen Fluxus-Bewegung. In den Sechzigern war er mit dabei, aber auch auf der Fluxusschau auf der Venediger Biennale von 1990.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen