: Unterm Strich
Berlins Kultursenator Peter Radunski forderte alle knackigen Rentner auf, sich freiwillig zum Aufsichtsdienst in Berliner Museen zu melden. Durch beispielgebenden Einsatz rüstiger Alter könne das Haushaltsloch im Kulturetat entscheidend verkleinert werden. Ohne freiwillige Kräfte sei die Forderung nach verlängerten Öffnungszeiten der hauptstädtischen Guckinstitutionen kaum zu realisieren. Also, alle Turnschuhrentner aufgepaßt! Raus aus den Rafting-Kursen und hinein in die schicke Aufseherkluft. In diesem Sinne gab der Senator die schnittige Parole aus: „Kultur ist das Fitneßcenter für die Seele.“ Radunski bemängelte im Kulturarbeitskreis auf dem Landesparteitag der Berliner CDU ferner die grassierende Freikartenmentalität der Bürger. Ein Ausstellungsbesuch vermittle mindestens soviel Genuß wie ein paar Kinostunden und muß auch soviel kosten dürfen. Bekanntlich nehmen die Berliner Kulturangebote immer dann sehr gern wahr, wenn es etwas gratis gibt.
Das war auch am Sonntag so, als der neue Kunsttempel, das Museum für Gegenwart, besser bekannt unter dem Namen Hamburger Bahnhof, von rund 13.000 Besuchern regelrecht gestürmt wurde. Schon vor Einlaß, morgens um 10 Uhr, hatten sich lange Schlangen vor den Toren der Ausstellung mit Werken von Beuys, Warhol, Rauschenberg, Twombly und anderen gebildet. Wer keine Lust auf Museumsstau hatte, konnte bereits am Freitag die Gelegenheit wahrnehmen, zum stattlichen Preis von 150 Mark Eintritt gewährt zu bekommen. Am Samstag war es dann für 50 Mark immer noch recht luftig. Künftig wird das neue Berliner Kunstspektakel dann unterhalb des Kinotarifs zu haben sein.
Spartechnisch weit vorn übrigens ist die Komische Oper. Harry Kupfer wird demnächst den „Fidelio“ ohne Dekoration inszenieren. So was nennt man „Lean cultural management“.
In die Frage um ästhetische Spartechniken hat sich auch das Brandenburgische Oberlandesgericht eingemischt. Es wies die Klage der Brecht-Erben gegen die Übernahme längerer Zitate aus Stücken Bertolt Brechts im letzten Theaterstück von Heiner Müller, „Germania 3“, zurück. Der Ende 1995 verstorbene Heiner Müller hatte sich längerer Textpassagen aus dem „Leben des Galilei“, des „Coriolan“ sowie des berühmten Grabsteingedichts beim großen Vorbild und Meister bedient. Das Gericht vermochte Müller nachträglich zu bescheinigen, daß er nicht einfach Textklau begangen, sondern die geistige Auseinandersetzung mit mit dem berühmten Dramatiker gesucht habe. Was wäre die Literatur- und Theaterkritik bloß ohne unsere Gerichte? „Das Urheberrecht schütze vor Plagiatoren“, gab das Gericht bekannt. Interpretations- und textsicher bestätigte das Gericht Müller allerdings den eigenständigen Umgang mit dem Brechtschen Wort.
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